»Man kann gar nicht sagen, wie das ist.«

Ende Oktober in Brandenburg. Gunnar S. sitzt im Garten vor seiner Laube. Er berichtet, was er in dem neuen Schrebergarten noch verbessern will. Erst einmal müsse er sich aber um das Herbstlaub kümmern. Früher arbeitete er als Baumaschinist, heute erhält der 34-Jährige eine Invalidenrente. Mit dem Kauf der Parzelle hat er sich einen Traum erfüllt. Bezahlt hat er das Grundstück mit Spenden, die der Tagesspiegel und die Opferperspektive für ihn sammelten. Gunnar S. will nicht, dass bekannt wird, wo er heute lebt. Er hat Angst vor denjenigen, die ihn am 6. Juni 2004 quälten. Nachts wacht er auf und hört ihre Stimmen. Einmal hat er auch die Schmerzen wieder gespürt. »Man kann gar nicht sagen, wie das ist«, erzählt er. Mit einer Psychologin versucht Gunnar S., sein Trauma zu bearbeiten.

Juni 2005, Landgericht Frankfurt (Oder). Der Vorsitzende Richter verkündet das Urteil gegen Ronny B. (29), David K. (24), Daniel K. (22), Ramona P. (25) und Stefanie L. (21). Die Männer erhalten Haftstrafen von dreizehneinhalb, zehn und neuneinhalb Jahren, die Frauen werden zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ronny B. beschimpft das Gericht, der Richter ermahnt ihn. Daniel K. und David K. bleiben regungslos. Stefanie L. und Ramona P. wirken erleichtert. Der Richter skizziert die Lebensläufe der Angeklagten. Es entsteht das Bild eines Alltages, der von Alkohol, Anabolika und Gewalt geprägt war. Ronny B. und David K. – ihre muskulösen Arme sind mit Nazi-Symbolen tätowiert – wurden schon mehrfach verurteilt: Gewalt gegen Linke und Ausländer, Erpressung, Einbrüche. Nur der jüngere Daniel K. habe sich aber zu seiner rechten Gesinnung bekannt, konstatiert der Richter. Den Anstoß für die Tat hatte David K. gegeben. Er habe, so der Vorsitzende, seinen Freunden wider besseren Wissens weisgemacht, dass Gunnar S. versucht habe, ein 15-jähriges Mädchen zu vergewaltigen. Ronny B. hatte Gunnar S. daraufhin gezwungen, in eine Wohnung mit zu gehen. Der Vorsitzende rekonstruiert, was sich in den folgenden zwei Stunden zutrug. Ramona P. und Stefanie L. saßen auf einem Sofa, lachten und ermunterten die Männer, den »Kinderficker« zu bestrafen. Erst als Ronny B. Gunnar S. mit einem großen Messer töten wollte, veranlassten die Frauen die anderen Männer, ihm die Waffe abzunehmen. Daraufhin wurde ein kleineres Messer aus der Küche geholt. Die Frauen entspannten sich wieder. Die Folterungen wurden fortgesetzt. Der Richter zählt die medizinischen Befunde auf: Gunnar S. erlitt Verbrennungen an Rücken, Gesäß und Geschlecht, der Darm war zur Bauchhöhle hin durchstoßen, sein Körper mit offenen Wunden und Blutergüssen übersät. Sichtlich erleichtert beendet der Vorsitzende die Darstellung des Tatgeschehens. Nach dem Ende der Verhandlung verschwinden Ramona P. und Stefanie L. schnell aus dem Gebäude. Die drei Männer werden in Handschellen abgeführt. Vor der Tür stehen einige kahlrasierte Männer. Sie rauchen und zeigen ihre Wut über das Urteil. Keiner der vielen JournalistInnen wagt, sich ihnen zu nähern.

Gunnar S. hat in einem Schnellhefter Zeitungsartikel aufbewahrt. Ganz oben liegt das Titelblatt der Bild-Zeitung vom Tag nach der Tortur. Eine junge Frau hatte ihn gefunden. Während sie einen Notarzt rief, fotografierte ihr Lebensgefährte den geschundenen Körper. Er verkaufte das Material an die _Bild-Redaktion. »Das war schon heftig«, sagt Gunnar S. rückblickend. Andererseits versteht er, dass die Medien berichteten. Aber er wollte, dass auch seine Perspektive wahrgenommen wird. Im Mai 2005 zeichnete ein _Tagesspiegel-Redakteur auf, was Gunnar S. erlebt hatte. Er kann sich an viele Details der Tat erinnern, aber die Zeit danach ist verblasst. Nach einer Notoperation war Gunnar S. in ein künstliches Koma versetzt worden. Der Kriminalpolizei hatte er bei der ersten Befragung verschwiegen, wer ihn misshandelt hatte – aus Angst. »Wir machen deinen Kleinen kalt«, hatten die Männer gedroht. Damit war der dreijährige Sohn von Gunnar S. gemeint. Der Verhandlung hat Gunnar S. nicht beigewohnt. Seine Zeugenaussage konnte er im Beisein eines Mitarbeiters der Opferperspektive durch eine Video-Live-Schaltung machen. Es habe ihn sehr angestrengt, als er wieder die Stimmen der TäterInnen durch die Kopfhörer vernahm. Trotzdem sei es ganz gut gegangen. Ronny B., der ihm am meisten Schmerzen zugefügt hatte, habe ängstlich geklungen; das habe gut getan. Der Prozess ist vorbei. Die Narben bleiben für immer.

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