Medialer Umgang mit Opfern rechter Gewalt

In den bundesdeutschen Medien ist Rechtsextremismus ein Konjunkturthema. Monate, in denen das Problem kaum interessiert, werden abgelöst von kurzen Hochphasen, in denen das Thema in jeder Tageszeitung und auf allen Kanälen präsent ist. Verschiedene Ereignisse können diese plötzliche Aufmerksamkeit auslösen. Dazu zählen Wahlerfolge rechtsextremer Parteien, aber auch Gewalttaten, die von Rechtsextremisten oder ihnen nahe stehenden Gruppen oder Personen verübt werden.

Ich will versuchen, die Stellung der Opfer rechter Gewalt in diesen medialen Diskursen zu beschreiben. Wie werden ihre Schicksale in der Berichterstattung thematisiert? Was sind die Voraussetzungen dafür, dass rechts motivierte Angriffe zum öffentlichen Thema werden? Welche Rollen werden den Opfern von den Journalisten zugeschrieben? Ich habe zu diesem Thema Thesen formuliert, die ich nun vortragen will und die wir im Anschluss kritisch diskutieren können.

1. Der so genannte »Aufstand der Anständigen« war der politische Ausdruck dafür, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung des Rechtsextremismus verschoben hat. Seither spielen Opfer rechter Gewalt in den Medien eine bedeutendere Rolle.

Im Vergleich zu heute waren in den 1990er Jahren Opfer rechter Gewalt in der Berichterstattung von untergeordneter Bedeutung. Durch verschiedene Faktoren änderte sich das in den Jahren 2000 und 2001. Einer dieser Faktoren war ein investigativer Journalismus, der erhebliche Mängel bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus recherchierte und mit Erfolg skandalisierte. So waren Recherchen von »Tagesspiegel« und »Frankfurter Rundschau« ein wichtiger Auslöser für die Reform der Erfassung politisch motivierter Straftaten im Jahr 2001 1 . Ein zweiter Faktor war, dass im Oktober 2000 in Deutschland ein Bombenanschlag gegen Juden verübt wurde 2 . Eine dritte, damit verbundene Entwicklung war das neue Bundesprogramm CIVITAS. Es wurde eingerichtet, um den Aufbau von zivilgesellschaftlichen Strukturen sowie die Unterstützung und Beratung von Opfern rechter Gewalt in den östlichen Bundesländern zu fördern.

Im Rückblick kann man mit Fug und Recht von einem Paradigmenwechsel sprechen. War bis dahin das Hauptaugenmerk auf die Täter, ihre Sozialisation und ihre »Wiedereingliederung« in eine demokratische Gesellschaft gelegt worden, so ging es nun darum, demokratische Kräfte zu unterstützen und die gesellschaftliche Perspektive der von Rechtsextremen Angegriffenen oder Verdrängten zu stärken. Diese Veränderung in der gesellschaftlichen Problembeschreibung spiegelte sich auch in den Medien wieder. Opfer rechter Gewalt wurden stärker zum Thema für Presse, Fernsehen und Radio. Die Einrichtung professioneller Beratungsstellen für diese Opfer in den östlichen Bundesländern, das Engagement der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dieser Beratungsstellen und die dort angesammelte Expertise trugen zur Veränderung der Berichterstattung bei: Die Beratungsstellen, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, den »Opfern eine Stimme zu geben«, bilden für Journalisten eine ideale und leicht zugängliche Schnittstelle zu Opfern. Diese Zugänglichkeit spielt für Medien eine zunehmend wichtige Rolle.

2. Die schlechten Produktionsbedingungen der Medien sind ein wesentlicher Grund dafür, dass eine Bearbeitung des Themas rechte Gewalt kaum möglich ist.

Wenn wir in der Hochphase eines Aufmerksamkeitszyklus einen Blick in eine beliebige Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt richteten, so würden wir folgende Szene erkennen: Permanent klingeln Telefone. Gestresste Mitarbeiter, die Journalisten immer wieder dieselben Fragen beantworten. »Welches sind die Opfergruppen rechter Gewalttaten?« »Wo gibt es besonders viele Angriffe?« Und natürlich die obligatorische Frage: »Könnte ich mit einem der Opfer sprechen?« Oder der Klassiker: »Wir bereiten für heute Abend eine Diskussionssendung vor. Wir bräuchten noch ein Opfer, das authentisch über seine Erfahrungen sprechen kann.«

Im Durchschnitt erscheinen in solchen Phasen täglich weit über einhundert Artikel, die mit Rechtsextremismus zu tun haben. Mehr oder minder alle liegen morgens in den Posteingangsfächern der Mitarbeiter dieser Beratungsstellen. Betrachtet man die journalistische Bearbeitung rechter Gewalt aus der Perspektive solcher Beratungsstellen, so ist dem Autor Toralf Staud recht zu geben. Er sagt, »praktisch nichts von öffentlicher Erkenntnis aus dem vorherigen Zyklus schafft es in den neuen« 3 . Doch was sind die Gründe für den offenkundigen Mangel an Erkenntnisgewinn?

Zunächst ist festzuhalten, dass nur eine sehr überschaubare Anzahl von Journalisten kontinuierlich zu diesem Themenkomplex arbeitet. Es gibt also deutlich zu wenig Fachjournalisten. Auffällig ist auch, dass zeitintensive Recherchen im redaktionellen Tagesgeschäft kaum mehr machbar scheinen. Diese Eindrücke werden bestätigt, wenn man mit Journalisten über ihren Arbeitsalltag spricht und über die geringe Zeit, die ihnen zur Verfügung steht, Themen vertiefend zu bearbeiten.

Experten der Deutschen Journalisten Union (dju) machen vor allem die miserablen Arbeitsbedingungen in den Redaktionen für den Mangel an Qualität verantwortlich. Infolge des Einbruchs bei den Werbeeinnahmen der Printmedien im Jahr 2001 reagierten viele Verlage mit einem rigiden Sparprogramm. Nach Berechnungen der dju wurden in den Redaktionen 15 bis 40 Prozent der Mitarbeiter entlassen. Laut Schätzungen sind heute die zeitlichen Kapazitäten für Recherche im Vergleich zu den 1990er Jahren im Durchschnitt um 50 Prozent niedriger. Eine Studie der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche aus dem Jahr 2006 kommt gar zu dem Ergebnis: »Investigativer Journalismus ist heute in Deutschland ein Minderheitenphänomen.« 4

3. Nicht jedes Opfer ist gleich: Es gibt in den Medien eine Hierarchie in der Wahrnehmung der Opfergruppen rechter Gewalt.

Es wäre interessant zu untersuchen, weshalb bestimmte rechte Gewalttaten eine neue Hochphase in der Berichterstattung über Rechtsextremismus auslösten. Ein kurzer Blick auf die von den Opferberatungsstellen geführten Chronologien genügt, um festzustellen, dass es viele Fälle gibt, die – legte man allein die Schwere der Angriffe zugrunde – eine Debatte hätten auslösen können. Wollte man genauer untersuchen, was eine rechte Gewalttat dafür prädestiniert, in den Medien aufgegriffen zu werden, wäre ein ganzes Bündel an Faktoren zu berücksichtigen.

Zwei Dinge scheinen von besonderer Bedeutung zu sein:

Der eine Faktor betrifft die Zugehörigkeit eines Opfers zu einer bestimmten Opfergruppe. In der Berichterstattung über die unterschiedlichen Opfergruppen rechter Gewalt ist eine klare Hierarchie erkennbar, wenn es um die Anerkennung ihres Opferstatus geht. Ganz oben in dieser Hierarchie gesellschaftlicher Anerkennung stehen Juden. Dann kommen Schwarze. Juden erhalten diese Aufmerksamkeit – völlig zurecht – aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit. Dass ein Angriff gegen Schwarze in aller Regel zumindest empörte Reaktionen heraufbeschwört, scheint mir nicht zuletzt ein positives Resultat der Arbeit vieler antirassistischer Initiativen zu sein. Weitaus schwieriger haben es Alternative, Linke oder gar Punks, die zu Opfern rechter Gewalttäter werden. Und an unterster Stelle dieser makabren Hierarchie stehen Obdachlose und andere sozial Deklassierte. Die Missachtung dieser Opfergruppen hat nach meiner Beobachtung auch damit zu tun, dass im gesellschaftlichen Diskurs zum Thema Rechtsextremismus bisher noch nicht genügend reflektiert wird, wie sehr rechte Gewalt auch für die Verdrängung linker und alternativer Kultur sowie demokratischer Umgangsformen steht.

Der zweite Faktor korrespondiert zum Teil mit dem zuvor Dargestellten. Er berührt die Frage, welchen Opfern unmittelbar geglaubt und welchen Opfern eher Misstrauen entgegen gebracht wird. In der Viktimologie, also der Wissenschaft, die sich mit den Opfern von Straftaten befasst, gibt es die Figur des »idealen Opfers«. Um es kurz zu machen: Ein ideales Opfer ist sozial integriert. Es hat die körperliche Auseinandersetzung nicht durch seine Haltung, sein Auftreten oder gar durch eigenständige Handlungen provoziert. Und ein »ideales Opfer« setzt sich gegen den Angriff nicht zur Wehr.

Ich möchte ein Beispiel nennen, wie die Figur des »idealen Opfers« die Berichterstattung in den Medien beeinflusst: Am 16. April 2006 wurde in Potsdam der schwarze Deutsche Ermyas M. von Rassisten angegriffen und dabei so schwer verletzt, dass er wochenlang im Koma lag. Der Fall stieß eine Debatte über rechte Gewalt an. Zunächst erschien Herr M. als »ideales Opfer«: Doktorand, sozial integriert, zwei Kinder mit einer deutschen Frau, seit Jahren in Potsdam lebend, Mitglied der SPD. Aufgrund eines zufälligen Mitschnitts der Stimmen der Täter samt rassistischer Beschimpfung gab es zunächst keinen Zweifel an der Motivation des Angriffs. Der Ablauf der Tat schien klar. Herrn M. traf keine Schuld.

Es ist äußerst interessant, sich, anhand von Zeitungsmeldungen die schrittweise Demontage von Herrn M. vor Augen zu führen. Die ersten Zweifel wurden laut, als bekannt wurde, dass Herr M. an diesem Abend getrunken hatte und sich, bevor er niedergeschlagen wurde, mit seiner Frau gestritten haben soll. Der nächste Schritt war ein Streit, den er vor dem Angriff mit einem Busfahrer hatte. Als dann auch noch Aussagen von Zeugen bekannt wurden, dass Herr M. nach den beiden Männern getreten haben soll, von denen einer ihn dann niedergeschlagen hat, war das »ideale Opfer« demontiert. Als Folge wurde in der Berichterstattung eine rassistische Tatmotivation nunmehr nahezu einhellig ausschlossen – trotz des auf Tonband festgehaltenen Beweises einer zumindest tatbegleitenden rassistischen Beschimpfung.
Die Tatsache, dass die Figur des »idealen Opfers« so gar nicht auf Alternative, Antifas und Linke, aber auch nicht auf Obdachlose anwendbar ist, ist ein wichtiger Grund dafür, warum diese Opfergruppen in der Berichterstattung unterrepräsentiert sind.

4. Journalisten und Opfer rechter Gewalt haben oft unterschiedliche Interessen und bewegen sich in unterschiedlichen Denksystemen.

Die Berichterstattung über eine rechte Gewalttat kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und beurteilt werden. Ich will dies – sehr vereinfacht und schematisch – an drei der möglichen Blickwinkel verdeutlichen: aus journalistischer Sicht, aus der Perspektive eines Opfers und drittens aus der Wahrnehmung einer Opferberatungsstelle.

Zunächst zur journalistischen Perspektive: Hier wäre zu unterscheiden, ob es sich um einen Lokaljournalisten handelt, der an den Auswirkungen seiner Arbeit auf den lokalen Kontext interessiert ist. Oder ob es um einen Journalisten geht, der für ein überregionales Medium arbeitet und den die lokale Rezeption nur wenig, in der Regel eher gar nicht, berührt. Gemeinsam ist der journalistischen Perspektive, dass sie in aller Regel von der »Logik des Nachrichtenwerts« beherrscht wird. Journalisten wollen Geschichten erzählen und Ereignisse öffentlich machen. Dazu brauchen sie Menschen, die bereit sind, über sich und ihre Gewalterfahrung zu berichten. Das verleiht dem Bericht den Hauch von Authentizität. Dieses Ziel verfolgend, entwickeln Journalisten zu Opfern häufig ein funktionales Verhältnis. Je nach sozialer Kompetenz des Journalisten entsteht daraus nicht selten eine für Opfer unerträgliche Situation, in der die Opferberatungsstellen eine Schutzfunktion gegen die Medien einnehmen müssen.

Zur Perspektive der Opfer: Diese sind zunächst sehr stark darauf konzentriert, die Folgen einer Tat zu verarbeiten. Dazu gehört nicht selten, dass Opfer ein eigenes Interesse daran haben, ihre Sicht auf das Geschehene in die Öffentlichkeit zu tragen. Allerdings – auch das ist immer wieder zu beobachten – verändert die Berichterstattung über einen Fall nicht die soziale Situation der Betroffenen. Das Erlebte wird nicht ungeschehen gemacht, die Demütigung nicht aufgehoben. Es ändert sich auch nicht der gesellschaftliche Kontext, in dem sich der Angriff vollzogen hat. Sehr schnell führen solche Erfahrungen daher zu der Frage: »Was bringt mir eine Veröffentlichung dessen, was ich erleben musste?«

Zur Rolle der Opferberatungsstellen: Diese versuchen, im Interesse derer zu handeln, die sie beraten. Gleichzeitig haben sie jedoch den Auftrag, die Medien zu nutzen, um die Gesellschaft und politische Entscheider über das Ausmaß rechtsmotivierter Gewalt aufzuklären. Diese verschiedenen Aufgabenstellungen sind teilweise nur unter Schwierigkeiten miteinander zu vereinen. In Bezug auf die zyklische Berichterstattung über Rechtsextremismus kann dies – überspitzt gesagt – bedeuten: In einem zyklischen Tief, also einer Phase, in der sich niemand für rechte Gewalt interessiert, muss man Journalisten hinterher laufen. In den Hochphasen kommt man den zahllosen Anfragen der Medien nicht hinterher. Man läuft tendenziell sogar Gefahr, die Opfer zu überfordern und möglicherweise gegen ihre Interessen zu agieren. Dabei meine ich beispielsweise Fälle, in denen es in Hinblick auf anstehende Strafverfahren von entscheidender Bedeutung ist, die eigene Wahrnehmung nicht vorab in den Medien, sondern erst im Gerichtssaal öffentlich zu Protokoll zu geben.

Fazit

Opfer rechter Gewalt spielen heute in den Medien eine größere Rolle als in den 1990er Jahren. Allerdings hat sich insgesamt die Qualität der Berichterstattung vermindert, was vor allem auf die miserablen Produktionsbedingungen der Medien zurückzuführen ist. Darüber hinaus gibt es in den Medien eine klare Hierarchie der Opfergruppen, was dazu führt, dass bestimmte Opfergruppen in der Berichterstattung unterrepräsentiert sind. Berichterstattung über rechte Gewalt ist von großer Bedeutung, allerdings muss berücksichtigt werden, dass Journalisten und Opfer kein »natürliches Bündnis« bilden, sondern unterschiedliche Interessen verfolgen.

Was ist zu wünschen? Eine fundierte Berichterstattung über Gewalt von rechts ist ein wesentlicher Faktor in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus. Wir brauchen mehr Journalisten als Verbündete im Sinne der schönen Tradition eines Journalismus in sozialer Verantwortung. Das sind Fachjournalisten, die am Thema dranbleiben. Das sind Journalisten, denen von den Redaktionen größere Recherchekapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Das sind Journalisten, die Rechtsextremismus als Strukturproblem statt als Skandal behandeln.

Fußnoten

1 Am 14. Oktober 2000 dokumentierten beide Zeitungen, dass seit der Wiedervereinigung 1990 insgesamt 93 Menschen in Deutschland durch rechte Gewalt getötet wurden. Die offizielle Statistik des Bundesinnenministeriums zählte zu diesem Zeitpunkt 24 Opfer. Berücksichtigt wurden nur Fälle, in denen das Bestreben der Täter erkennbar war, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu überwinden. »Bloße« fremdenfeindliche Gewalttaten, aber auch Angriffe auf Homosexuelle und Obdachlose fielen nicht darunter. 50 bis 70 Prozent rechter Tötungsdelikte blieben daher statistisch unberücksichtigt. Nach den Presseberichten änderte sich das; 2001 beschloss die Innenministerkonferenz eine Reform der Erfassung politisch motivierter Straftaten.

2 In der Nacht zum 3. Oktober 2000 wurde ein Brandanschlag auf die Synagoge in Düsseldorf verübt. Es entstand Sachschaden. Als Täter wurden zwei junge Männer arabischer Herkunft ermittelt. Einer wurde zu zweieinhalb Jahren Gefängnis, der andere auf Bewährung verurteilt.

3 Toralf Staud: Ein kurzer Ratgeber für Journalisten. Mit Rechtsextremen reden? Bloß wie?

4 Ingmar Cario: Die Deutschland-Ermittler. Investigativer Journalismus und die Methoden der Macher, Münster 2006

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