Prozeß nach Überfall auf polnische Saisonarbeiter in Kremmen

Drei Tage wurde am Oranienburger Amtsgericht verhandelt bis am Dienstag, dem 16. September, vier Männer verurteilt wurden, die im Mai vergangenen Jahres zwei polnische Erntehelfer verschleppt und misshandelt hatten.

 

Unstrittiger Ablauf der Tat

In den frühen Morgenstunden des 13. Mai versuchten drei Männer vergeblich in ein Einfamilienhaus einzubrechen. Die Bewohnerin, Frau S., informierte Uwe K., welcher in Kremmen als „jemand, der aufpasste“ bekannt war. Es gab nur eine sehr vage Beschreibung der Täter. Zehn Stunden später begegnete Ralf K., der Sohn von Uwe K., zusammen mit seinem Freund Benjamin J., auf einem Feldweg drei polnischen Erntehelfern. Diese hatten sich nach Feierabend zu Fuß auf den Weg zu ihrer Unterkunft gemacht. Trotz der vagen Täterbeschreibung vom Morgen war sich Ralf K. sicher: Die drei Polen müssen die Einbrecher sein! Gemeinsam mit dem herbeitelefonierten Vater fingen sie die Erntearbeiter ab. Ihr Plan: Die „verdächtigen“ Männer zu einer Gegenüberstellung mit der Nachbarin zu bewegen. Der zu diesem Zeitpunkt alkoholisierte Uwe K. schrie die völlig überraschten Erntehelfer an, sie sollten ins Auto steigen. Die Männer, Leszek und Grzegort M. und ein Bekannter, bekamen es mit der Angst zu tun. Ohne Deutschkenntnisse verstanden sie den Grund für die Aufregung nicht. Sie vermuteten, sie könnten sich unberechtigterweise auf Privatbesitz befinden.

In der Folge wurden Ralf und Uwe K. immer aggressiver. Während dem dritten Erntearbeiter die Flucht gelang, wurde Leszek M. von Uwe K zu Boden geschmissen und geschlagen. Um seinen Widerstand zu brechen, fesselten die Täter ihn mit einem Gummischlauch an den Beinen. Dabei setzte sich Ralf K. brutal auf den Rücken des deutlich schmächtigeren Mannes. Grzegort M. konnte sich zwischenzeitlich losreißen, wurde aber nach kurzer Flucht über ein Feld von Benjamin J. und einem weiteren Sohn der Familie K, der zur Verstärkung herbeigeeilt war, eingeholt und gestellt. Die vermeintlichen Einbrecher wurden gewaltsam ins Auto gezerrt und zum Grundstück der Frau S. verbracht. Auf dem Weg dorthin hielten sie an einer Scheune, aus der Uwe K. Stricke holte. Bei Frau S. angekommen wurden Leszek und Grzegort M (Ersterer noch immer an den Beinen gefesselt), mit Stößen aus dem Auto getrieben und an mit Steinen beladenen Paletten festgebunden. Während Frau S. immer unsicherer wurde, ob es sich tatsächlich um die Einbrecher handelte, rief der mittlerweile informierte Chef von Leszek und Grzegort M. die Polizei. Ein zur Hilfe gerufener Vorarbeiter der beiden Erntehelfer befreite sie von ihren Fesseln.

Unklar geblieben ist bis zum Schluss der Verhandlungstage, wie viele Menschen sich an der Hetzjagd beteiligten. Einmal war die Rede von einem fünften Mann, einmal von etwa zehn Menschen mit Hunden.

 

„Sie wurden behandelt wie Tiere und nicht wie Menschen“

Diesen Satz gebrauchte nicht nur die Nebenklagevertretung, sondern auch das Gericht in seiner Urteilsbegründung. Leszek und Grzegort M. seien zwar körperlich nicht schwer verletzt worden, aber einer extremen psychischen Belastung ausgesetzt gewesen, so die Richterin. Der ganze Vorfall zog sich über einen Zeitraum von etwa zwanzig Minuten. Die beiden Polen, die weder wussten, worum es ging noch was ihnen gerade passierte, durchlitten Todesängste, wurden geschlagen und misshandelt. Als Uwe K. wie oben geschildert mit Stricken aus der Scheune trat, waren sich die Erntehelfer sicher, dass sie im Wald erhängt werden würden.

 

“Ein Fall von Selbstjustiz und nicht des „Jedermannparagraphen“

Mehrfach äußerten sich die Verteidiger empört, dass die Angeklagten der Selbstjustiz bezichtigt worden seien, und stilisierten sie in diesem Zusammenhang gar zu Opfern einer „sensationslüsternen“ Medienberichterstattung. Deutliche Worte fand dazu die zuständige Staatsanwältin. Die Tat sei ein klarer Fall von Selbstjustiz. Es habe sich deutlich gezeigt, dass die Falschen gejagt, verletzt und misshandelt wurden. Das Gericht erklärte in der Urteilsbegründung, dass das Verhalten der „selbsternannten Sheriffs“ selbst dann völlig überzogen und überflüssig gewesen wäre, wenn es sich bei den Geschädigten um die richtigen Täter gehandelt hätte. Der sogenannte Jedermann-Paragraphen (§127 StPO), fände hier keine Anwendung. Dieser besagt: „Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen.“

 

Rassismus als Motiv?

Einer der Nebenklägervertreter sprach davon, dass zumindest eine „latente Fremdenfeindlichkeit“ zur Tat geführt habe und kritisierte, dass dies weder vom Gericht noch von der Staatsanwaltschaft aufgenommen wurde. Er forderte die Täter noch einmal eindringlich zur Selbstreflektion auf: Nicht alles, was fremd sei, sei schlecht oder gefährlich.

In der Urteilsbegründung führte dann auch das Gericht aus, dass Ausländer für die Kremmener Täter „ganz gut in das Bild gepasst hätten“, welches sie sich trotz vager Beschreibung von den Einbrechern gemacht hätten. Dazu passt, dass der Angeklagte J. bereits zweimal wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen Strafbefehle erhielt. Auf Nachfrage der Richterin zu den Sachverhalten gab er vor, sich nicht mehr erinnern zu können. Die Frage, ob er mit rechtem „Zeug“ zu tun habe, verneinte er.

 

Schweigen auf der Anklagebank

Vor Gericht war nur Uwe K. zu einer Aussage bereit. Er war auch der Einzige, der so etwas wie Reue erkennen ließ. Zum Ende der Verhandlung entschuldigte er sich für die Tat. Seine Söhne, wie auch der mitangeklagte Benjamin J., schwiegen. Bedauern war bei ihnen nicht zu erkennen. Darauf wies auch die Nebenklagevertretung nochmals hin. Zugute gehalten wurde allen Vieren, dass sie sich vor Gericht in schriftlicher Form bei den Betroffenen entschuldigten und ihnen eine Wiedergutmachung von jeweils 2000 Euro zahlten.

 

Urteil: Freiheits- und Geldstrafen

Uwe K. und Ralf K. wurden als Haupttäter wegen gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung zu zehn bzw. acht Monaten Haft, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung, und zu Geldbußen von 750 bzw. 500 Euro verurteilt.

Gerald B. und Benjamin J. mussten sich wegen gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung verantworten. Benjamin J. wurde zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen a 30 Euro verurteilt. Bei Gerald B., der zum Tatzeitpunkt noch nicht volljährig war, kam Jugendstrafrecht zur Anwendung. Er kam mit einer Verwarnung davon und muss 600 Euro Strafe zahlen. Außerdem wurden den Angeklagten die Kosten des Verfahrens und der Nebenklage auferlegt.

Aktuelles