Rechte Gewalt im Fokus

Dieser erfreuliche Rückgang wird häufig mit dem sog. Brandenburger Weg und dem damit verbundenen staatlichen Handlungskonzept Tolerantes Brandenburg (TBB) begründet. Durch das TBB wird seit 1998 sowohl die finanzielle als auch die diskursive Unterstützung einer nicht-rechten Zivilgesellschaft forciert. Es wird ebenso versucht, die Verwaltungs- und Justizapparate zu sensibilisieren, um auch auf diese Weise gegen rechte Organisationen vorzugehen. Die derzeitige rot-rote Regierung führt damit den vom vorherigen CDU Innenminister Schönbohm eingeschlagenen Kurs fort. Verbote von Neonazi-Strukturen wie der Freien Kameradschaft Teltow-Fläming (FKTF) sowie die durch eine Selbstauflösung einem Verbot zuvorgekommene Kameradschaft Märkische Oder Barnim (KMOB) im Jahr 2011 zeugen davon. Ebenso das 2012 erlassene Verbot des neonationalsozialistischen Netzwerks Widerstand Südbrandenburg, den sog. Spreelichtern, und die nach unangemeldeten Fackelmärschen erfolgten Hausdurchsuchungen in Potsdam. Bei genauerer Betrachtung der regionalen Schwerpunkte rechter Organisierung und rechter Gewalttaten wird deutlich, dass das Konzept des Brandenburger Wegs, zu kurz greift.

Schwerpunktregionen – Rechte Gewalt im Wandel

Innerhalb weniger Jahre haben sich Schwerpunkte rechter Gewalt in Brandenburg verschoben. So kann beobachtet werden, dass es in Regionen, aus denen vergleichsweise wenig Angriffe bekannt waren, es aktuell zu massiven Einschüchterungen und Gewalttaten kommt. Davon betroffen sind Personen, die sich gegen Rechts engagieren und sich nicht dem räumlichen Dominanzanspruch rechter Cliquen unterwerfen und Menschen, denen aus rassistischen Motiven eine Daseinsberechtigung in Deutschland abgesprochen wird. Im Landkreis Havelland und der dortigen Schwerpunktregion Rathenow/Premnitz dokumentieren wir seit 2010 mit zwei Angriffen pro Jahr nur noch verhältnismäßig wenig, obwohl dort eine starke und gut vernetzte Neonazi-Szene über mehrere Generationen aktiv ist und aktuell eine neue Struktur, die Heimattreuen Jugend Rathenow/Premnitz_, aufbaut wird. Eine mögliche Erklärung dafür ist das sog. Dunkelfeld bei rechten Gewalttaten. Studien zu Dunkelfeldern offenbaren, dass generell nur ein Teil der Gewalttaten angezeigt wird und damit Eingang in die amtlichen Statistiken findet. Dazu kommt, dass nicht in allen Regionen Antifa-Strukturen oder linke Jugendeinrichtungen so aufgestellt sind, dass sie auch nicht angezeigte Angriffe dokumentieren und öffentlich machen. Bei rassistischen Angriffen kann von einem noch größeren Dunkelfeld ausgegangen werden, da die migrantischen Organisationen meist nur in größeren Städten aktiv sind und viele Migrantinnen in ländlicheren Regionen daher kaum Zugang zu Hilfsangeboten haben.

Repression und Neuorganisation – Rechte Strukturen im Wandel

Um handlungs- und interventionsfähig zu sein, ist es nötig zu verstehen, wo und wie Neonazistrukturen in Brandenburg wirken. Für eine Analyse ist es unabdingbar sich anzuschauen, wie die AkteurInnen eingebunden sind und welche Organisationsformen es gibt, um auch die regionalen Kräfteverhältnisse einschätzen zu können. So ist bekannt, dass an die 400 Rechte aus dem Umfeld der nationalsozialistisch ausgerichteten Freien Kräfte in Brandenburg aktiv sind. Hinzu kommen die knapp 350 Mitglieder der NPD/JN. Ihre Politik ist meist lokal ausgerichtet und sie sind in regionalen Strukturen organisiert, allerdings existieren einige Vernetzungen. Die Übergänge zwischen NPD/JN und den Freien Kräften sind hierbei fließend. Die NPD versucht durch die Einbeziehung von Aktiven, auch parteiunabhängige NationalsozialistInnen an sich zu binden. Gleichzeitig wird offensiv der rechtliche Schutz der Parteien genutzt, dies zeigt beispielsweise die Gründung der JN Potsdam durch Mitglieder aus dem Spektrum der Autonomen Nationalisten.
Auf staatliche Verbote, Hausdurchsuchungen und Verurteilungen reagieren die Rechten mit klandestinen Organisierungsformen und einer Neuausrichtung ihrer Politik. Das repressive Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden führt nicht nur zu einer Beschlagnahmung von Geld und Infrastruktur, sondern wirkt sich auch auf die Mitglieder und deren Aktivitäten aus. Der harte Kern bleibt weiterhin aktiv, das Umfeld zieht sich jedoch erst einmal zurück. Damit wird eine Neuausrichtung der Strukturen erforderlich. Kontakte und personelle Verflechtungen nach Berlin bekommen eine neue Bedeutung und gewährleisten ein politisches Agieren in neuem Gewand. Dies könnte zumindest eine mögliche Erklärung für den vermehrten Bezug rechter Anschläge auf den Nationalen-Widerstand-Berlin (NW-Berlin) in Brandenburg sein.

NW-Berlin als neue Organisationsform in Brandenburg

Am 19. Juni 2012 wurde das neonationalsozialistische Netzwerk Widerstand Südbrandenburg verboten. Am 27. Juli 2012 knüpfte ein auf der Homepage von NW-Berlin dokumentierter unangemeldeter Fackelaufmarsch von maskierten Neonazis in Hennigsdorf – Oberhavel an die Aktionsformen der sog. Spreelichter an. Anlass war der 99. Todestag des SS-Kriegsverbrechers Priebke. Im Laufe des Julis waren bereits im Landkreis Oder-Spree bei Sachbeschädigungen an Jugendclubs in Beeskow und Fürstenwalde NW-Berlin – Sprühereien aufgetaucht, ebenso im Zusammenhang mit einer Bedrohung am Haus eines jugendlichen Alternativen in Storkow. In beiden Fällen führen die Spuren zu Sebastian S., dem Berliner Landesvorsitzenden der NPD, der zugleich zentrale Figur im gewaltförmig agierenden Netzwerk NW-Berlin ist. Der gebürtige Strausberger Sebastian S. war längere Zeit im Nord-Osten Brandenburgs aktiven Märkischen Heimatschutz organisiert (Selbstauflösung 2006) und gut vernetzt mit den dortigen Neonazistrukturen. Erst dieses Jahr übernahm er den in Hennigsdorf ansässigen Online-Versand On The Street.

Weitere Bezüge auf NW-Berlin gab es bei dem Anschlag am Morgen des 7. Oktobers 2012 in Zossen, als der Briefkasten des Sprechers der Bürgerinitiative Zossen zeigt Gesicht gesprengt, ein Hakenkreuz gesprüht und die Eingangstür mit Steinen eingeschmissen wurde. Zwei Tage vorher waren in der Stadt das Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Stolpersteine mit Hakenkreuzen und dem Schriftzug NW-Berlin beschmiert worden. Verbindungen nach Berlin bestehen hier über den gerade aus der Haft entlassenen Ludwigsfelder Neonazis Christoph S. Dieser gehörte zusammen mit Daniel T. zu den zentralen Figuren der verbotenen Kameradschaft FKTF. Beide sind auch mit dem Neuköllner Neonazi und NPD-Kandidaten Julian B. vernetzt. Daniel T. verbüßt derzeit eine fast vierjährige Haftstrafe für den Brandanschlag auf das Haus der Demokratie in Zossen 2010.

Zwei Tage später, am 9. Oktober 2012, fand der bis dahin spektakulärste Angriff in Brandenburg statt, der mit NW-Berlin gelabelt wurde. In den frühen Morgenstunden drangen Neonazis auf das Gelände des Flüchtlingsheimes in Waßmannsdorf/Schönefeld im Landkreise Dahme-Spreewald ein und beschmierten das Gebäude mit »Rostock ist überall« und »NW-Berlin«. Die Neonazis versuchten, in das Gebäude zu gelangen, scheiterten jedoch an den Feuertüren. Anschließend warfen sie die Fensterscheiben eines Zimmers ein, durch dieses schmissen sie mit Farbe gefüllte Flaschen. In dem Raum schliefen zwei afghanische Frauen. Eine der Flaschen zersplitterte direkt neben dem Kopf einer Schlafenden. Der Bezug auf die Pogrome im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen und die damit verbundene Drohung ist unmissverständlich. Vor 20 Jahren griff in der Hansestadt ein Mob aus organisierten Neonazis und Teilen der Bevölkerung die zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge an und setzten ein von vietnamesischen VertragsarbeiterInnen bewohntes Haus in Brand. Parallel zu dem Angriff in Waßmannsdorf gab es in Berlin mehrere NW-Berlin bezogene Sachbeschädigungen. Bei einem SPD- und einem Linksparteibüro wurden die Scheiben eingeworfen, an einer Einrichtung des Jugendverbandes Die Falken wurden Hakenkreuzschmierereien gesprüht. Zudem wurde die Drohung »Ihr interessiert uns brennend« hinterlassen.

Das Netzwerk NW-Berlin, dem in Berlin Bedrohungen und Anschläge auf linke PolitikerInnen, JournalistInnen und Jugendclubs zugerechnet werden, dehnt offensichtlich seine Aktivitäten nach Brandenburg aus. Gleichzeitig versuchen rechte Strukturen in Brandenburg, die durch zivilgesellschaftliche wie antifaschistische Engagement und staatliche Repression unter Druck geraten, an diese Strategie anzudocken und sich dem Netzwerk anzuschließen.

Die Ausweitung des NW-Berlin-Netzwerkes auf Brandenburg bringt für die bisher eher regional gegliederten Neonazis eine neue Organisationsform mit sich. Denn damit ist auch der Rückgriff auf Strukturen, Personal und Know-How der militanten Neonaziszene Berlins gegeben. Durch die Anschläge wird der lokale Bedeutungsrahmen verlassen und ein beträchtliches Bedrohungspotential entfaltet. Die Drohung, das Heim und seine BewohnerInnen anzuzünden, ist durch den Verweis auf Rostock-Lichtenhagen mehr als deutlich. Die Bezugnahme auf das militante nationalsozialistisch ausgerichtete Berliner Netzwerk kann eine Radikalisierung der Aktionsformen bedeuten.

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