Spurensuche

Guben zehn Jahren nach dem Tod von Farid Guendoul
Guben zehn Jahren nach dem Tod von Farid Guendoul

Zehn Jahre sind seit dem Tod von Farid Guendoul vergangen. Welchen Platz hat dieser »Schlag«, wie Pfarrer Michael Domke die Geschehnisse nennt, im Gedächtnis Gubens. Wie ist die Lausitzstadt damit fertig geworden? Überwiegt heute immer noch die Meinung, es habe sich um einen »tragischen Unfall« gehandelt, wenn es um die Hetzjagd geht, der in der Nacht zum 13. Februar 1999 der 28-jährigen algerischen Asylbewerbers Farid Guendoul zum Opfer gefallen ist? Eine Spurensuche.

Sie beginnt in der Nähe des damaligen Tatorts, am Gedenkstein für Farid Guendoul. Der Stein war von der »Antifa Guben« errichtet und immer wieder, zum Teil von den Angeklagten, die den Algerier in den Tod getrieben haben, im laufenden Verfahren selbst, beschädigt und geschändet worden. Es folgte eine öffentliche Auseinandersetzung darüber, ob der Stein erhalten bleiben, verlegt oder gar offiziell zum Gedenkstein erklärt werden sollte. Er habe damals, so erinnert sich Ex-Bürgermeister Gottfried Hain, der wert darauf legt, vom »Unfall«-Opfer Farid Guendoul zu sprechen, gesagt: »Wenn es ein Stein der Behörden ist, kann er weg. Wenn es ein Stein der Bürger wird, soll er bleiben.«

Der Streit um den Gedenkstein

Weil sich Bürger ihm annahmen, steht der Gedenkstein heute noch. Auf Initiative des Berliner Theaterregisseurs Peter Krüger, der im Mai 2000 mit der Inszenierung des jüdischen Stücks »Der Dibbuk« ein Zeichen gegen rechte Gewalt in Guben setzen wollte, fanden sich Menschen aus der Kirche, der Gewerkschaft, vom »Internationalen Jugendverein Guben-Gubin« und von der PDS zusammen und entwickelten ein Patenschaftssystem, wo im Wochenwechsel Einzelne und Gruppen die Pflege des Steins organisierten. Diese Initiative ist inzwischen eingeschlafen. In jenen Tagen sorgte sie allerdings dafür, dass der andauernden Verhöhnung des Opfers durch Neonazis – die Gedenkplatte war entwendet und zertrümmert, Blumen zertrampelt, auf den Stein uriniert, die Inschrift zugesprüht und Aufkleber angebracht worden – die Spitze genommen wurde.

Der Gedenkstein ist inzwischen der einzige sichtbare Ort, der noch an die Geschehnisse vor zehn Jahren erinnert. Der Tatort, Hauseingang Hugo-Jentzsch-Str. 14, ist verschwunden. An seiner Stelle gibt es den Park am Kletterfelsen. Dort, abseits zwischen Parkplätzen und der Bundesstraße, liegt der Stein mit der Inschrift: »Mahnmal gegen Rassismus, gegen Gewalt, gegen Fremdenfeindlichkeit. Die Würde des Menschen ist unantastbar«. Im Schnee ist deutlich zu sehen, dass er Unverbesserlichen offenbar als Urinal dient, immer noch. Zwei Fußabdrücke und gelber Schnee rund um die Gedenkplatte, – dagegen wird man vermutlich nie etwas ausrichten können. Für die Gubener Studentin der Nahost-Wissenschaften, Franziska Keller, ist auch das sinnbildlich: »Der Stein ist schutzlos, aber genauso war Farid schutzlos und keiner hat ihm geholfen.« Franziska Keller, damals bei der Antifa und im Internationalen Jugendverein und heute Brandenburger Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, der sich die Geschehnisse von damals schmerzhaft ins Gedächtnis gebrannt haben, ist nicht mehr oft in ihrer Heimatstadt, der sie »Beratungsresistenz« attestiert.

Wenn man hört, was Bürgermeister Klaus-Dieter Hübner (FDP) zum Fall Farid Guendouls zu sagen hat, wird nachvollziehbar, was sie damit meint. Das Stadtoberhaupt wiederholt ungebrochen, was damals an Bemerkungen über Farid Guendoul zu hören war: »Was haben die Damen und Herren, also die beiden Algerier, was haben die dort gemacht, zu einer Zeit, wo sie eigentlich schon woanders hätten sein müssen?« Und er geht noch weiter, wenn er letztlich die Version der Täter wiederholt: »Warum reagieren die so, mal ganz unabhängig von der Gedankenwelt dieser Jugendlichen, was ist da im Vorfeld konkret passiert? Dass da Provokationen stattfanden, ist ja herauslesbar.« Er springt auf und holt von seinem Schreibtisch die Prozessakte, um die Stelle aus dem Urteil des Cottbusser Landgerichts herauszusuchen, in der den Tätern Fahrlässigkeit vorgeworfen, aber keine Absicht, schon gar keine Tötungsabsicht unterstellt wird.

Wer hat schuld?

Dass der Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren im Oktober 2002 nicht nur das Strafmaß bestätigte und eine Fahrlässigkeit verneinte, sondern die Tat als »versuchte Körperverletzung mit Todesfolge« bewertete, für die selbst diejenigen Angeklagten verantwortlich gewesen seien, die im Auto warteten, hat in Hübners Sicht keinen Platz. Dem, neben dem sterbenden Farid Guendoul und dem zu Boden geprügelten Khaled B., dritten Gejagten, Issaka K., wirft Hübner gar Versagen vor: »Die Tür war offen, da hätte keiner durch die Tür gehen müssen. Und warum hat die Notfallversorgung nicht funktioniert, wer hat denn alles versagt in der Richtung, warum ist der Kollege, der mit war mit dem Herrn, warum hat der nicht geholfen?« Blendet nicht, wer so spricht, die panische Todesangst des Toten und der anderen Opfer aus, die selbst das Landgericht Cottbus festgestellt und der Bundesgerichtshof nochmals unterstrichen hat?

Fehlgeleitete Verpflichtung

Dass eine Gruppe mit Hass-Musik aufgeputschter Jungrechter, die alkoholisiert und gewaltbereit durch die Straßen Gubens fuhren, verschiedene »alternative« und »dunkelhäutige« Menschen aggressiv anpöbelten, die Schaufenster eines Asia-Ladens einwarfen und sich auf die Suche nach einem »N-Wort« machten, dass alles taucht in der Erzählung Hübners nicht auf. Auch nicht, dass sie dabei eine Kneipe belagerten und die völlig überforderte Polizei bis zur Wache in der Berliner Straße verfolgten und bedrängten. Wohl aber die ominöse, frei erfundene »Machete« und die Provokation gegenüber einem »deutschen« Jugendlichen in der Disco Danceclub, die von eben diesem Schwarzen gekommen sei.

Hübner will bis heute – zehn Jahre später – nachvollziehbar erscheinen lassen, dass diese Horde sich als Hilfssheriffs auf die Suche nach dem »Täter« gemacht haben soll. Von der damaligen pogromartigen Stimmung gegen Ausländer und Asylsuchende in ganz Deutschland ist bei ihm keine Rede: Letztlich waren diese »Damen und Herren«, wie der Bürgermeister sie nennt, die nicht pünktlich in ihr Lager zurückgekehrt sind, selber schuld. Für ihn heißt das Opfer Guben: »Was mich dabei am meisten berührt, ist, dass man heute, zehn Jahre danach, noch dieses Treppenhaus zeigt und Guben in Verbindung bringt mit dem Thema rechts.«

Sich der Verantwortung stellen

Es gibt Menschen in der Stadt, die verdrehen die Augen, wenn die Sprache auf Hübner kommt. So auch Kerstin und Frank Nedoma. Die Fraktionschefin der LINKEN in der Stadtverordnetenversammlung (SVV) hat damals schon deutliche Worte gefunden, wenn es um die Hetzjagd, den Gedenkstein und den Umgang Gubens mit dem Thema rechte Gewalt ging. Sie erinnert sich noch gut an die Diskussionen um den Gedenkstein in der SVV, bei der mit nur einer Stimme Mehrheit, der Erhalt an Ort und Stelle gesichert werden konnte. Kerstin Nedoma beklagt bis heute, dass alle Bemühungen, Konsequenzen aus der Gewalttat von Obersprucke zu ziehen, im Sande verlaufen sind: »Die anderen Fraktionen waren nicht bereit, da richtig mitzuarbeiten, es ist ja dann auch ein Handlungskonzept erstellt worden, es ist Papier beschrieben worden, aber es ist nichts verwirklicht worden.«

Auch daran, dass nach dem ersten Schreck und einer bewegenden, spontanen Demonstration im Beisein des damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe damit begonnen wurde, sich »einzumauern«, erinnert sich Nedoma. Eine Wagenburg-Mentalität machte sich breit, welche alles Schlechte von außen eindringen sah, Reporter, Neonazis, Antifa-Leute, Ausländer, einfach alles. Und wer diese Wagenburg, wie sie, infrage stellte, sei schnell als Nestbeschmutzer empfunden worden. »Dieses Einmauern hat natürlich auch damit zu tun, dass politische Entscheidungsträger, und dazu zähle ich auch die überwiegende Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung, nicht bereit waren, sich offensiv damit auseinanderzusetzen«, so ihre Bilanz heute.

Friedrich C. Burschel

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