Der Soundtrack der Neonazis. Rechte Strukturen und Aktivitäten in der Region Barnim

Vor 20 Jahren starb Amadeu Antonio, vor zehn Jahren starb Falko Lüdtke. Beide wurden Opfer rechter Gewalt, die Täter kamen in beiden Fällen aus Eberswalde und Umgebung. So wichtig es ist, die Erinnerung an die Opfer wach zu halten, sollten wir dennoch nicht die Augen vor aktuellen Entwicklungen verschließen. Rechte Strukturen, Neonazis, rassistische und antisemitische Bestrebungen, das alles gibt es nach wie vor – auch hier in Eberswalde und im Barnim.

Vielen fällt er beim ersten Blick vermutlich gar nicht weiter auf. Und doch befi ndet sich mit dem »Army Shop« seit mittlerweile über fünf Jahren kein gewöhnliches Ladengeschäft am östlichen Ortsausgang von Eberswalde. Zwischen unverfänglichem Outdoorzubehör stehen hier auch Kleidungsstücke der Marke Thor Steinar zum Verkauf – einer unter Neonazis sehr beliebten Bekleidungsmarke. Draußen am Laden: Werbung für den NMV Versand. Die Abkürzung steht für »Nationaler Medienvertrieb«.

Mag das Sortiment des Ladengeschäfts unter Umständen weniger off ensichtlich sein, bleibt beim Blick auf das Angebot des NMV Versandes kein Zweifel mehr: Hier wird für das »nationale Kampagnenthema Antikapitalismus« geworben, es gibt T-Shirts mit Aufschriften wie »Nationaler Sozialist«, »Nationaler Widerstand« oder auch »Support 28« – der Zahlencode des verbotenen neonazistischen Netzwerks »Blood & Honour«. Betreiber von Laden und Versand ist Gordon Reinholz. Durchaus kein unbeschriebenes Blatt.

Bereits Ende der 1990er Jahre war Reinholz Mitglied der NPD, Bundesvorstand der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) und daneben aktiv in Organisationen wie dem »Kameradschaftsbund Barnim« oder dem »Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Mitteldeutschland«. Bekannteste regionale Organisation dürfte jedoch der im Jahr 2001 von Reinholz mitbegründete »Märkische Heimatschutz« (MHS) gewesen sein. Der MHS versuchte, sich vom Schmuddel- und Schlägerimage rechter Skinheads zu lösen und sich als seriöse Organisation zu präsentieren – dies jedoch mit nicht minder extrem rechten Inhalten und Positionen. Anführer Reinholz löste den MHS allerdings im Jahr 2006 wieder auf, um einem Verbot zuvorzukommen.

Zwischen Bratwurst und Rechtsrock: der Preußentag der NPD

Heute hat der 31-Jährige seine Aktivitäten auf den Vertrieb rechter Bekleidung und Musik verlagert. Sein Versand war unlängst bei einer Veranstaltung der NPD mit einem eigenen Stand zugegen: Am 2. Oktober dieses Jahres fand auf dem Grundstück des langjährigen DVU-Aktivisten Klaus Mann in Schorfheide (Finowfurt) der sogenannte Preußentag statt. Mit ihm wollte sich die NPD bewusst vom 3. Oktober abgrenzen und forderte eine »echte Wiedervereinigung« – die die »verlorenen Gebiete« in Osteuropa mit einschließen müsse. Neben Reden von führenden Neonazis wie Ralf Tegethoff oder dem Landeschef der NPD, Klaus Beier, traten hier verschiedene Rechtsrockbands auf. Mit dabei auch die Barnimer Band »Preußenfront« um den Bernauer Neonaziaktivisten Kai Hasselmann.

Rechte Musik und rechter Lifestyle scheinen im Barnim weit größere Erfolgschancen zu haben als die manchmal etwas biedere Parteipolitik á la NPD und DVU. Zwar bieten beide Parteien immer wieder wichtige Infrastruktur, ermöglichen Konzerte und andere Veranstaltungen. Doch zumindest momentan findet das Bemühen der Partei in den Wahlergebnissen keine Entsprechung. Bei der Landtagswahl 2009 kamen DVU und NPD zusammen auf 3,7 Prozent, bei der Bundestagswahl erzielten beide zusammen in Brandenburg 3,5 Prozent. Durch den wohl kaum noch aufzuhaltenden Niedergang der DVU wird sich dieser Trend in absehbarer Zeit sicherlich nicht ändern.

Trotz Mitgliederschwund und Selbstauflösung: Rechte Einstellungen bleiben

Auch laufen den Parteien die Aktivisten davon: Seit der NPD-Kader Mike Sandow der Partei den Rücken gekehrt hat, ist es auf dem von ihm unterhaltenen Grundstück in Biesenthal ruhig geworden. In der Vergangenheit hatten hier regelmäßig Rechtsrockkonzerte stattgefunden.

Die Tendenz weg von der Parteipolitik hin zu einer Orientierung am rechten Lifestyle hatte bis vor Kurzem auch die »Kameradschaft Märkisch Oder Barnim« (KMOB) mit ihrer deutlich stärker auf Aktionen ausgelegten Politik mitgetragen. Doch ihre »Märkischen Aktionswochen«, eine Art Aufmarschmarathon, den sie in diesem Sommer in verschiedenen Städten der Region durchführen wollte, trafen auf den breiten Widerstand der Bevölkerung. In fast allen Städten konnte das Bündnis »Brandenburg Nazifrei« die Demonstrationen der Neonazis blockieren oder sogar ganz verhindern. In Bernau konnten am 29. Mai die 90 versammelten Neonazis angesichts einer 500 Menschen starken Blockade keinen einzigen Meter laufen. In Eberswalde wollte die KMOB am 5. Juni, nur wenige Tage nach dem zehnten Todestag von Falko Lüdtke, marschieren. Auch hier wurde zu Gegenaktionen aufgerufen – mit Erfolg: Die KMOB sagte den Aufmarsch wegen des zu erwartenden Widerstands ab. Nicht zuletzt die verpatzten Aktionswochen brachen der KMOB letztendlich das Genick. Kurz vor dem letzten angekündigten Aufmarsch am 10. Juli in Manschnow, und um einem Verbot durch das Innenministerium zuvor zu kommen, gab sie ihre Selbstauflösung bekannt.

Obwohl wenn es mit dem organisierten Neonazismus glücklicherweise nicht zum Besten steht, bedeutet das nicht, dass rechte Einstellungen in der Region nicht verbreitet wären. Im Gegenteil: Gerade mit rechter Musik und Konzerten werden Jugendliche an die extrem rechte Ideenwelt, an »Nationalen Sozialismus«, an Rassismus und Antisemitismus herangeführt. Dass auch der organisierte Neonazismus die Zeichen der Zeit erkannt hat, zeigen immer wieder Aktionen wie das Verteilen der sogenannten Schulhof-CD der NPD. Solche menschenverachtenden Produkte gehören jedoch nur an einen Ort: den Mülleimer.

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