»Die Hinterbliebenen kämpfen um Anerkennung für die Opfer«

Die Ausstellung »Opfer rechter Gewalt« im Landtag Brandenburg
Die Ausstellung »Opfer rechter Gewalt« im Landtag Brandenburg

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

Ich freue mich, dass Sie gekommen sind, um sich diese Ausstellung anzusehen. Dass wir sie hier zeigen können, dafür danke ich dem Landtagspräsidenten und seinen Mitarbeitern.

Die Künstlerin Rebecca Forner hat diese Ausstellung erarbeitet. Ihr – sie kann heute nicht hier sein – gilt unser besonderer Dank. Sie hat uns diese Dokumentation überlassen, damit wir sie als Wanderausstellung zeigen.
Rebecca Forners Ausgangspunkt war das Entsetzen über eine Chronik, die im Jahr 2000 im Tagesspiegel_ und in der _Frankfurter Rundschau erschien. Die Journalisten hatten – zusammen mit dem Antifaschistischen Pressearchiv Berlin – 93 rechte Gewalttaten mit tödlichem Ausgang dokumentiert. Die meisten Fälle mussten erst mühsam recherchiert werden. Nur jedes vierte dieser Verbrechen ist von der Polizei als rechte Gewalttat registriert worden. Man muss sich das noch einmal vergegenwärtigen: Zehn Jahre lang, zwischen 1990 und 2000, wurden in diesem Land fast einhundert Menschen von Rechtsextremisten totgeschlagen – aber die große Mehrheit dieser Opfer wurde der Öffentlichkeit nie bekannt.

Sie können das in der Ausstellung nachvollziehen. Denn es wurden nur Fotos verwendet, die zuvor in den Medien erschienen sind. Von den Opfern, die Sie hier nicht sehen können, hat sich die Gesellschaft einfach kein Bild gemacht.

Dass an diese Menschen heute erinnert werden kann, ist vor allem der Arbeit von Journalisten und Initiativen zu verdanken. Der Staat und die Polizei, auch das ist zu würdigen, sind dadurch auf ihr Versagen aufmerksam geworden. Inzwischen haben wir ein vernünftiges polizeiliches Erfassungssystem für rechte Gewalttaten. Trotzdem muss immer noch um die Anerkennung von Opfern rechter Gewalt gekämpft werden.

Stellen Sie sich einmal vor, in Ihrem Mietshaus würde nachts in voller Lautstärke das Horst-Wessel-Lied gespielt. Sie würden sich beschweren, Sie würden die Polizei rufen. Helmut Sackers tat genau dies. Die Polizei kam und ermahnte den Mieter. Helmut Sackers sagte dem Mann, er werde ihn anzeigen, sollte er noch einmal Nazi-Musik abspielen. Eine Stunde später war Helmut Sackers tot – verblutet nach vier Messerstichen des Neonazis. Das war vor fünf Jahren. Die Witwe streitet bis heute vor Gericht um die Anerkennung der Tatsache, dass ihr Mann nicht bei einem Nachbarschaftsstreit wegen Lärmbelästigung ums Leben kam, sondern Opfer einer rechten Gewalttat wurde.

Viele Menschen, an die hier erinnert wird, gelten offiziell nicht als Opfer rechter Gewalt. Das hat teilweise durchaus nachvollziehbare Gründe: Nicht immer kann vor Gericht lückenlos nachgewiesen werden, dass die Täter aus rechtsextremen Hass töteten. Sicher, auch bei diesen Verbrechen soll unbedingt gelten: Im Zweifel für den Angeklagten. Aber: Es gibt viele Fälle, bei denen man beim besten Willen nicht verstehen kann, warum sie nicht als rechte Gewalttaten gelten. Dazu gehört der Tod von Marinus Schöberl, den seine Mörder zwangen, sich als Juden zu bezeichnen, bevor sie ihn töteten.

Wenn Sie in dieser Ausstellung nachlesen, mit welcher Menschenverachtung die Täter gehandelt haben, dann wird sich Ihnen die Frage aufdrängen: Wie können Menschen bloß so etwas tun?

Ich kann und will Ihnen dazu keine knappe Antwort geben. Aber ich kann Ihnen etwas aus eigener Erfahrung berichten: Wir begleiten Opfer rechter Gewalt oder ihre Hinterbliebenen in Gerichtsprozessen. Oft beobachten wir, dass sich die Täter keineswegs im Unrecht sehen. Obwohl sie vom Staat angeklagt und fast immer auch verurteilt werden, fühlen sie sich von ihrer sozialen Umgebung legitimiert.

30 Personen waren dabei, als fünf Männer den Russlanddeutschen Kajrat Batesov vor einer Disko zu Tode prügelten. Vor Gericht aber wollte es niemand – nicht ein einziger! – gesehen haben. Versuchen Sie einmal sich vorzustellen, wie die Mutter von Kajrat Batesov das Schweigen all derer empfunden hat, die den Tod ihres Sohnes gesehen hatten und sich trotzdem dafür entschieden, die Mörder zu decken.

Heute wird in den Zeitungen berichtet, dass Eltern, Lehrer und Lokalpolitiker von den Anschlägen der Kameradschaft Freicorps auf die Geschäfte von Migranten im Havelland wussten. Was denken Sie, was diejenigen heute empfinden, deren Geschäfte angezündet wurden, angesichts der Tatsache, dass dies anscheinend von vielen honorigen Bürgern stillschweigend gebilligt wurde?

Wir haben in Brandenburg vielerorts eine Gesellschaft, in der sich rechtsextrem gesinnte Jugendliche angenommen und verstanden wissen. Gleichzeitig müssen Flüchtlinge, Punker, ausländische Imbissbetreiber und Aussiedler mit der Angst vor rechtsextremen Überfällen leben. Und sie können nicht auf das Verständnis und die Hilfe ihrer Mitbürger zählen – sie können nur darauf hoffen.
Erst dann, wenn Opfer rechter Gewalt sich der Solidarität der Gesellschaft sicher wissen können und wenn jeder Täter erfahren muss, dass rechte Gewalt geächtet wird, erst dann wird sich grundlegend etwas geändert haben. Wir versuchen, mit unserer Beratung für Opfer rechter Gewalt dazu beizutragen.

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