Radikale Rechte in kleinstädtischen Räumen

Vortrag vor dem rechtsextremen Geschäft in Wittstock (Foto: Aktionsbündnis)
Vortrag vor dem rechtsextremen Geschäft in Wittstock (Foto: Aktionsbündnis)

Schrumpfende Stadt

Wittstock ist, wie viele andere Städte in den neuen Bundesländern, eine schrumpfende Stadt. Seit 1989 hat sie etwa ein Drittel seiner EinwohnerInnen verloren. Die Stadt kämpft gegen die nahezu hoffnungslosen Bedingungen ökonomischer Deprivation und demografischer wie infrastruktureller Schrumpfung. Die DDR-Wirtschaftspolitik schuf im Rahmen ihres Konzeptes der »dezentralen Konzentration« auch in ländlichen Räumen Zentren industrieller Massenproduktion. Doch war Wittstock nicht erst seit DDR-Zeiten ein Standort von Fabriken und Werkstätten. Die Stadt hat eine lange Geschichte als Produktionsort von Stoffen und Garnen, mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Herstellung von Militärtuch. Der Höhepunkt der Tuchproduktion erfolgte während der Kriege Preußens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, an dessen Ende die Stadt zwölf Tuchfabriken zählte, von denen nach den Modernisierungs-und Konzentrationsprozessen zu Beginn des 20. Jahrhunderts lediglich eine erhalten blieb. Im Ersten Weltkrieg konnte die Wittstocker Tuchfabrikation die Nachfrage nach Uniformen kaum befriedigen. In der Zeit der NS-Kriegswirtschaft kam es zu keiner Intensivierung der Wittstocker Stoffherstellung – warum, das wäre noch zu untersuchen. Im Jahr 1945 wurden die Maschinen der verbliebenen Anlagen demontiert und als Reparationsleistungen in die damalige Sowjetunion transportiert. In den ersten Jahren der DDR wurde ein Werk für die Herstellung von Küchenmöbeln eingerichtet und der VEB Tuchfabrik Wittstock gegründet. Ab 1966 wurde der Obertrikotagenbetrieb OTB aufgebaut. In den späten 1980er Jahren arbeiteten in den drei Betrieben insgesamt über 5500 Menschen.

Als in den frühen 1990er Jahren alle drei Industriebetriebe ihre Produktion einstellten, war ein schlagartiger Zusammenbruch des neu entstandenen Arbeitsmarktes die Folge. Eine Abwanderung junger, qualifizierter und flexibilisierter BewohnerInnen, ein überproportionaler Anteil davon Frauen, war in den 1990er Jahren zu beobachten. Diese Abwanderungsprozesse sind nicht nur bevölkerungsstatistisch relevant, auch infrastrukturelle Veränderungen, der zunehmende Wohnungsleerstand und eine Unterauslastung von technischen und sozialen Einrichtungen, sind ein unmittelbarer Ausdruck der einsetzenden Krise der Stadt. Zunehmend stehen die Versorgung alter Menschen, der öffentliche Nahverkehr sowie Bildungsangebote und soziale Beratung von Kindern und Erwachsenen zur Disposition. Folglich haben Schulschließungen und der Verlust von Schwimmbädern, Bibliotheken und Jugendclubs auf die BewohnerInnen nicht nur Effekte einer sozialen Ungleichheit im Vergleich zu besser ausgestatteten Kommunen, sondern wirken umfassend deprimierend auf jene, die zurück gebliebenen sind.

Schrumpfende Stad

Den in Sachen Rechtsradikalismus und dessen Phänomenologien gebildeten Beobachtenden stellt sich die städtische Szenerie – besonders an einem warmen Sommertag – dar wie bei einem Ausflug in einen »Themenpark Rechtsradikalismus«. Vor den Besuchenden entfalten sich, beispielsweise am Marktplatz oder vor einer als notorisch rechtem Treffpunkt bekannten Elf-Tankstelle, ein Tableau rechtsradikaler Modestile und Erscheinungsbilder, die nicht auf »dresscodes« von Jugendlichen beschränkt sind, sondern auch Erwachsene einschließen. Zu beobachten sind mittlerweile in die Jahre gekommene Familienväter einer ersten Generation Rechtsradikaler, die noch den Schwung der ersten Mobilisierungen in den frühen 1990er Jahren miterlebt haben, und die ihre Kinder etwa im Dress »Walhalla for Kids« ausführen. Die jungen Erwachsenen stellen so etwas wie eine zweite Generation dar. Sie waren die Aktivisten der Welle neonazistischer Demonstrationen und Übergriffe in den Jahren 2001 und 2002. Den Nachwuchs bildet eine dritten Generation von 13-bis 16-Jährigen, die vor allem an den Schulen für Kopfzerbrechen sorgen und am deutlichsten den städtischen öffentlichen Raum für ihre Selbstdarstellung nutzen.

Diese nicht nur in Wittstock anzutreffenden drei Generationen rechtsradikaler Aktivisten und Mitläufer belegen die Notwendigkeit, Rechtsradikalismus und Neonazismus als neue soziale Bewegung, besonders – aber nicht allein – in den Neuen Bundesländern zu interpretieren. Die Behandlung des Problems als allein jugendkulturelle und jugenddeviante Erscheinung geht an den Ursachen vorbei. Sie kann die lokale soziale Verankerung und die Normalität neo-nationalsozialistischer Einstellungen und Handlungen nicht erklären. Im Laufe der letzten 15 Jahre hat sich in Städten wie Wittstock ein differenziertes Netz rechtsradikaler BürgerInnen unterschiedlichen Alters etabliert, die über Kader-orientierte Parteistrukturen, »Freie Kameradschaften« und jugendliche Cliquen herausreichen. Erst seit wenigen Jahren wird, vor allem seit der Gründung eines Aktionsbündnisses, der kulturellen Hegemonie rechtsradikaler Positionen in Wittstock entgegen getreten. Neue Konzepte in der Jugendarbeit, eine entschiedene Repression durch die lokale Polizei und Sondereinsatzgruppen wie der MEGA und TOMEG sowie die überregionale Kommunikations-und Vernetzungsversuche haben die ersten Ansätze einer zivilgesellschaftlichen Struktur in der Stadt gestärkt.

Schrumpfende Stad

Im öffentlichen Raum in Wittstock fällt die Abwesenheit von dunkelhäutigen Menschen, von türkisch- oder arabischenstämmigen MigrantInnen auf. Es fehlen auch die bunten Jugendlichen oder KünstlerInnen, insgesamt eben jene Vielfalt an unterschiedlichen Sprachen und Erscheinungsbildern, die heutzutage viele, auch kleinere Städte als urbane Landschaften charakterisieren. Dies ist zum einen dem nahezu zum Erliegen gekommenen Zuzug von NeubürgerInnen geschuldet. Zum anderen versuchen die wenigen MigrantInnen, nach Ablauf der Residenzpflicht bzw. des vorgegebenen zwei- bis drei-jährigen Wohnbelegungszeitraumes für russische Übersiedler, die Region zu verlassen. Die vorherrschende Fremdenfeindlichkeit ist somit eine ohne Fremde. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur Ablehnung von MigrantInnen und Flüchtlingen in Westdeutschland. Dort können sich die sozial Diskriminierten zumindest in Interessengruppen zusammenschließen oder über ihre Anwesenheit das lokale Kräfteverhältnis und das gesamte Bild einer als homogen vorgestellten Gesellschaft durchbrechen. Anders ist dies in den meisten ostdeutschen Städten, die im Durchschnitt einen so genannten Ausländeranteil von unter einem Prozent der Bevölkerung aufweisen. Diese Abwesenheit von MigrantInnen reproduziert einen öffentlichen Raum, der als Territorium xenophober Rechter angesehen werden muss. Ein Infragestellen dieser Vorherrschaft, durch körperliche Anwesenheit, Sichtbarkeit oder verbale Bekundungen, wird mehr oder weniger gewaltförmig sanktioniert. Es ist also von einer Verteidigungsposition eines angenommenen Status Quo nationaler und völkischer Vorstellungen auszugehen, und nicht von dem Szenario einer Eroberungsstrategie sogenannter National befreiter Zonen oder anderer Befreiungsterritorialitäten.

Die schrumpfende Stadt Wittstock verliert mit jedem Übergriff auf nicht-rechte Jugendliche, auf MigrantInnen oder andere lokale Außenseiter ihre Attraktivität und damit eine entscheidende Voraussetzung für die einzige wirtschaftliche Entwicklungsoption, die derzeit diskutiert wird: den Tourismus. Denn neben symbolischen Gesten und einem freundlichen, offenen Begegnen den ortsfremden BesucherInnen gegenüber fehlt der Stadt eine entspannte Atmosphäre. Unter der pittoresken Oberfläche einer rekonstruierten mittelalterlichen Ackerbürgerstadt und späteren Industriestadt sind die sozialen Verwerfungen und emotionalen Spannungen einer Stadtkultur der Fremdenfeindlichkeit zu spüren.

Schrumpfende Stad

Der Journalist Klaus Hartung beschrieb die nach der Wiedervereinigung rekonstruierten, oftmals mittelalterlichen Stadtkerne Ostdeutschlands als eine »Wiederkehr der historischen Stadt als Geschichtslandschaft« und prägte dafür den Begriff der »Förderkulissen«. Es sei eine »Piazza-Epidemie« durch die Städte des Ostens gezogen, die zwar auch lebenswerte Orte geschaffen habe. Nur seien diese menschenleer, und damit in einer »Urbanität um ihrer selbst willen« gefangen; also Form ohne Inhalt, reine Kulisse eben. In dieser »Spannung zwischen Perfektion und Verlassenheit« erschienen Hartung die renovierten Häuser wie eine »versteinerte Erwartung« auf die Zukunft. Ähnliche Gedanken können einen bei der Betrachtung des Wittstocker Marktplatzes überkommen: ein Platz mit Fassaden von Stadthäusern, Ladengeschäften, Cafes und Bankfilialen, dem imposantaltertümlichen Rathausensemble, umgeben von Lindenbäumen und Sitzecken. Dabei handelt es sich bei der gestalteten Form des Platzes um das Resultat langjähriger Planungen und Bautätigkeiten, die weit in die Jahre der DDR zurück reichen. Bereits 1938 war der Platz asphaltiert worden, im Krieg ging das Markttreiben zunehmend zurück. In den ersten Jahrzehnten der DDR wurde der heutige Marktplatz als Parkplatz genutzt. Erste Pläne für die Umgestaltung datieren auf die späten 1960er Jahre, als unter dem Stichwort »Fußgängerzone« verschiedene Umgestaltungsvarianten diskutiert wurden. Ab 1984 wurde einer der Entwürfe umgesetzt, 1986 wurden die Bauarbeiten mit einem Festakt abgeschlossen.

Der Wittstocker Markt ist heute tatsächlich ein Handelsplatz mit einem zwei Mal wöchentlich stattfindenden Verkauf von Lebensmitteln und Kleidung. Anders als in den zunehmend fragmentierten Wohngebieten scheint sich hier ein zentraler Ort für die Aushandlung städtischer Öffentlichkeit gefunden zu haben. Diese ist hier vor allem von der Austragung jugendkultureller Territorialisierungskämpfe gekennzeichnet. Der Platz ist fast das ganze Jahr – soweit es das Wetter zulässt – der Präsenzraum einer dominant auftretenden Gruppe rechts orientierter, zumeist männlicher Jugendlicher. Die nicht zu dieser Gruppe gehörigen Jugendlichen, wie etwa den wenigen alternativ orientierten SchülerInnen, können sich auf dem Marktplatz nicht ohne Konfrontation aufhalten. PassantInnen oder AnwohnerInnen scheinen sich an dieser alltäglichen Territorialisierungspraxis nicht zu stören. Versuche, in Auseinandersetzungen einzugreifen, wurden mehrfach mit massiven Einschüchterungen beantwortet. Der öffentliche Kommunikations- und Verhandlungsort stadtkultureller Dynamik wäre somit einerseits lokal vorhanden, wird aber weder von den weniger massiv auftretenden Jugendlichen noch von den PassantInnen oder EinwohnerInnen aktiv eingefordert. Als Grund dieser Passivität und Toleranz rechtsradikaler Platzhirsch-Politik gegenüber wird, je nach Perspektive der Befragten, deren Anwesenheitsrecht betont (»die stören doch keinen«) oder aber Konfliktvermeidung aufgrund von Einschüchterung angegeben.

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