Forderung nach zeitnaher und lückenloser Aufklärung des tödlichen Polizeieinsatzes in Niederlehme


Potsdam, 21.04.2023

Die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt im Land Brandenburg ist tief betroffen über den Tod von Vitali N. und spricht allen Angehörigen und Freund:innen des Verstorbenen ihr Mitgefühl aus.

Sie fordert alle beteiligten Behörden auf, umgehend für eine umfassende Aufklärung des Polizeieinsatzes vom 11. April in Niederlehme zu sorgen, bei dem Vitali N. zu Tode kam. Vitali hatte einen bulgarischen Pass. Die Informationen, die aus aktuellen Zeitungsberichten hervorgehen unterscheiden sich stark von der bisher veröffentlichten Darstellung der Landespolizei Brandenburg und legen den Verdacht nahe, dass die Gewaltausübung der eingesetzten Beamt:innen mindestens mittelbar zum Tod von Vitali N. führte. Diesem Verdacht muss nachgegangen werden und das genaue Geschehen rund um den Polizeieinsatz vollständig aufgeklärt werden.

“Es klafft eine eklatante Lücke zwischen den veröffentlichten Berichten der Polizei zum Verlauf der Festnahmesituation in Niederlehme und den in der Presse wiedergegebenen Berichten der am Einsatz beteiligten Ärzte. Dies sowohl bei der Notversorgung vor Ort, als auch im Klinikum Neukölln, wo Vitali N. schließlich verstarb. Wir fordern daher eine zeitnahe und lückenlose Aufklärung der Geschehnisse, die zum Tod von Vitali N. führten.” äußert sich Martin Vesely, Berater der Opferperspektive.

Der Tagesspiegel und die taz zitieren übereinstimmend aus dem Totenschein, in dem ein Tod durch Ersticken, „durch gewaltsames zu Boden drücken von Gesicht und Thorax in Bauchlage“ festgestellt wird. Zudem wird in den genannten Berichten auf feuchte Erde in Mund und Nase des Verstorbenen hingewiesen, die die beteiligten Ärzte vor Ort und im Klinikum Neukölln festgestellt haben. Auch wenn durch die erste Obduktion der Berliner Staatsanwaltschaft keine Erdreste in der Lunge festgestellt werden konnten, muss der Frage nachgegangen werden, wie die Mediziner:innen zu diesen Befunden kamen. Weiter widerspricht der Notarztbericht der Darstellung der Polizei, Vitali N. seien die Handschellen gelöst worden, nachdem er ohnmächtig geworden war. Der Arztbericht, der in den Zeitungen wiedergegeben wird, spricht davon, dass Vitali mit Handschellen fixiert war, als er bereits ohnmächtig war und die Notärzt:innen vor Ort eintrafen.

„Die Polizeidirektion Süd muss zu diesen Widersprüchen und Berichten umfassend Stellung nehmen und echten Aufklärungswillen beweisen. Ein weiteres Schweigen der Behörden ist in keiner Weise hinnehmbar“, betont Vesely. Nach derzeitigen Berichten würde das Verfahren aus Berlin an die Staatsanwaltschaft Cottbus abgegeben werden. Um eine tatsächliche Aufklärung sicherzustellen, ist es nach Ansicht der Opferperspektive jedoch notwendig, dass die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg der Staatsanwaltschaft Cottbus die Zuständigkeit für dieses Verfahren entzieht. „Bereits in der Vergangenheit gab es bei der Staatsanwaltschaft Cottbus große Probleme und Verfehlungen in der Aufklärung von Todesfällen beziehungsweise Bewertung der Umstände von Todesfällen. So z.B. im Rahmen der Ermittlungen der Tötung von Rita Ojungé im Lager Hohenleipisch im Jahr 2019, die bis heute nicht aufgeklärt wurde. Ein weiteres Beispiel ist die Bewertung der rechten Morde von Senzig (ebenfalls Landkreis Dahme-Spreewald) im Zusammenhang mit dem verschwörungsideologischen Weltbild des Täters im Jahr 2021“, ergänzt der Berater. Zudem liegen bei der Staatsanwaltschaft Cottbus seit Jahren etliche Verfahren, bei denen rechte Gewaltstraftaten Gegenstand der Ermittlungen sind, welche jahrelang nicht zur Anzeige gebracht beziehungsweise von den Gerichten vor Ort jahrelang nicht terminiert werden. Es ist hier von einem strukturellen Problem auszugehen.

Weiterhin fordert die Opferperspektive die verantwortlichen Behörden dazu auf, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um Kontakt zu Angehörigen von Vitali N. aufzunehmen, damit der Leichnam an diese übergeben werden kann und ein würdiges Begräbnis und Gedenken an den Verstorbenen zu ermöglichen.

Für den kommenden Sonntag, den 23. April um 17 Uhr haben Berliner und bundesweite Initiativen eine Kundgebung am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg in Gedenken an Vitali N. angekündigt. Die Opferperspektive ruft zur Teilnahme auf, um die Forderung nach Aufklärung zu bestärken.

Ansprechperson für Nachfragen:

Martin Vesely – 01711935669
m.vesely@opferperspektive.de
Zuständiger Berater bei Opferperspektive e.V., Potsdam

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