Das Bild, das sich Deutschland von den Opfern gemacht hat

Wie entstand die Idee zu der Ausstellung »Opfer rechter Gewalt«?

Die Idee entstand im Herbst 2000 in einem Kurs von Professor Alex Jordan an der Kunsthochschule Weißensee. Inhalt des Kurses war zunächst, Plakate für den von der deutschen Sektion der Alliance Graphique International ausgerufenen Wettbewerb »Anschläge gegen Rechts« zu gestalten. Wir waren uns einig, dass wir uns intensiver mit dem Thema auseinandersetzen wollten. Deshalb haben wir, parallel zu unseren individuellen Arbeiten, drei Monate lang jeden Tag aus fünf Zeitungen einen Beitrag ausgewählt und ins Netz gestellt – eine Art Internet-Tagebuch der damaligen politischen Debatte. Rechtsradikalismus wurde damals von den Medien und auch vom Staat viel stärker thematisiert als zuvor. Ich fand es heuchlerisch, dass jetzt plötzlich alle gegen Rechts waren, aber niemand denen zuhörte, die seit Jahren aktiv waren und auch niemand von den gesellschaftlichen Zusammenhängen reden wollte. In diese Zeit fiel die Veröffentlichung einer Chronik der Opfer in der »Frankfurter Rundschau«. Sie hat mich auf die Idee gebracht, die Opfer visuell zu dokumentieren. Ohne viele Erklärungen oder Kommentare zeige ich mit der Dokumentation die Realität, an der sich der Kampf gegen Rechts messen muss.

Die »Opfer rechter Gewalt« wurden erstmals am Bauzaun der Gedenkstätte Topographie des Terrors, dem ehemaligen Gestapo-Hauptquartier in Berlin gezeigt. Wie kam es dazu?

Bei einem Besuch der Gedenkstätte wurden wir auf den leeren Bauzaun aufmerksam. Das Ausstellungsgelände erschien uns als ein öffentlicher Ort, an dem eine visuelle Intervention sinnvoll war. Wir beschlossen, eine Ausstellung für diesen Zaun zu konzipieren, die unsere bis dahin entstandenen Arbeiten zeigen sollte. Die Ausstellung bestand aus sieben Beiträgen, die sich auf unterschiedliche Weise mit Rassismus und Rechtsradikalismus auseinandersetzten.

Wie hat sich die Stiftung Topografie des Terrors zu Ihrem Vorhaben gestellt?

Wir sind mit einem fertigen Konzept auf die Stiftung zugegangen und unser Vorhaben stieß auf Zustimmung. Im Mai 2002 wurde die Ausstellung dann als Initiative der Kunsthochschule Berlin-Weißensee in Zusammenarbeit mit der Stiftung und dem Senat für Stadtentwicklung eröffnet. Die Unterstützung der Topographie des Terrors hat maßgeblich dazu beigetragen, dass unser Projekt so viel öffentliche Aufmerksamkeit bekam.

Sie haben Ihre Ausstellung auch in der Alten Synagoge in Wuppertal und im Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg gezeigt. Kann da nicht der Eindruck entstehen, dass die Verbrechen der Nazis mit dem Rechtsradikalismus vermengt werden?

Nein, überhaupt nicht! Sowohl die Begegnungsstätte Alte Synagoge als auch das Heidelberger Dokumentationszentrum haben mit der Ausstellung gearbeitet, Workshops und Veranstaltungen konzipiert, mit denen Besucherinnen und Besuchern das Thema näher gebracht und eine differenzierte Auseinandersetzung möglich wurde. Ich finde es sehr gut, dass viele Gedenkstätten einen Teil ihrer Ressourcen dafür einsetzen, zu aktuellen politische Fragen Stellung zu beziehen.

Wie haben Sie die Informationen über die Opfer recherchiert?

Die Grundlage war die Chronik von »Frankfurter Rundschau« und »Tagesspiegel«. Zusätzlich habe ich im Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin den ganzen Bestand von Zeitungsartikeln aus den letzten zehn Jahren durchgesehen. Im Internet und in linken Publikationen habe ich weitere Listen gefunden, die von antifaschistischen Initiativen zusammengestellt worden waren. Diese Quellen habe ich verglichen und nach und nach zusammengefügt.

»Ist jemand kein Opfer, wenn es für seinen Tod keine Zeugen gibt?«

Über einige der Todesfälle ist nur wenig bekannt, das sieht man an den spärlichen Informationen auf manchen Tafeln in der Ausstellung. Wie haben Sie überprüft, ob es sich um Fälle von rechter Gewalt handelt?

Die Fälle aus der Chronik der beiden Tageszeitungen habe ich alle übernommen, weil ich wusste, dass sie von Journalisten recherchiert worden waren, die bessere Möglichkeiten haben, an die entsprechenden Informationen zu kommen. Schwierig war es bei Fällen, in denen der rechte Hintergrund vor Gericht nicht bestätigt wurde. Es gibt Fälle, in denen der Täter bei der Polizei zwar Aussagen gemacht hat, nach denen die Tat eindeutig als menschenverachtend gewertet werden muss, er aber diese Aussagen vor Gericht nicht wiederholt hat. Die Anwälte der Täter versuchen, im Interesse ihrer Mandanten, rechtsextreme Motive aus der Gerichtsverhandlung herauszuhalten. Dazu kommt, dass die Richter oft genug einen politischen Charakter negieren. Ich habe mich entschieden, auch die Fälle aufzunehmen, in denen es starke Hinweise auf einen rechte Motivation gibt, auch wenn diese vor Gericht nicht bewiesen werden konnten. Diese Fälle habe ich mit Heike Kleffner, einer Journalistin, die an der Chronik von »Frankfurter Rundschau« und »Tagesspiegel« mitgearbeitet hat, durchgesprochen.

Dazu gehören sicherlich auch die zehn Toten nach dem Brandanschlag in dem Asylbewerberheim in der Lübecker Hafenstraße 1996. Der Fall war sehr umstritten, das Verfahren gegen die tatverdächtigen Rechten wurde eingestellt.

Ich habe mir das sehr genau überlegt. Niemand ist für diese Tat verurteilt worden, ein Bewohner des Hauses stand lange unter Verdacht und wurde schließlich freigesprochen. Niemand, auch ich nicht, weiß mit Sicherheit, wer den Brand gelegt hat. Was ich jedoch weiß, ist, dass es in diesem Verfahren von Seiten der Polizei und Staatsanwaltschaft keine vorbehaltlosen Ermittlungen gab. Alle Beteiligten wurden unter Druck gesetzt, die Rechten zu entlasten und stattdessen einen Asylbewerber zu beschuldigen, um Schaden vom Ansehen Deutschlands abzuwenden. Ich habe versucht, die Fälle genau zu prüfen. Ich weiß, dass ich die Ausstellung mit Fällen, die nicht eindeutig sind, angreifbar mache. Doch ist jemand, krass gesagt, kein Opfer rechter Gewalt, weil es keine Zeugen gibt und die Angeklagten vor Gericht den Mund halten? Oder weil die politischen Konsequenzen nicht tragbar sind? Ich kann mich irren und wenn ich davon überzeugt werde, nehme ich Änderungen vor.

Wie haben Sie die Fotos der Opfer zusammengetragen?

Ich habe verschiedene Bildarchive angefragt oder durchgesehen. Die meisten Bilder habe ich in Boulevardzeitungen gefunden. Was ich nicht gemacht habe, ist, mit den Familien der Toten Kontakt aufzunehmen. Das wäre in einigen Fällen zwar möglich gewesen, aber ich wollte nicht einfach anrufen und um ein Bild bitten – ich konnte ja nicht wissen, an welchem Punkt sich die Angehörigen bei der Verarbeitung ihrer Trauer befinden. Unter Umständen hätte ich Prozesse in Gang gebracht, die ich nicht hätte auffangen können. Zudem war mir von Anfang an klar, dass ich nicht alle Bilder finden werde und es also darum gehen musste, für diese Leerstellen einen Ausdruck zu finden. Ich habe aus der Not eine Tugend gemacht und sowohl für die Texte als auch für die Bilder nur das verwendet, was in den Medien zu finden war. Damit gibt diese Dokumentation auch gleichzeitig Auskunft darüber, ob und wie diese Toten von der Medienöffentlichkeit zur Kenntnis genommen wurden.

Wo Ihnen Bilder fehlten, haben sie graue Rasterflächen verwendet. Wollen Sie zeigen, dass sich die Gesellschaft von den Opfern kein Bild gemacht hat?

Ja, ich wollte eine visuelle Form finden, die das Fehlen der Bilder ausdrückt, auch als Reaktion auf Erfahrungen, die ich während der Recherche gemacht habe. Unter anderem habe ich bei dpa eine Anfrage nach Fotos von 115 Personen gestellt. Sie schrieben mir zurück, dass sie nur von zwei Leuten Bilder haben, mit der allgemeinen Begründung, dass die meisten Fotos nur kurzzeitig von öffentlichem Interesse sind und deshalb irgendwann weggeworfen werden. Diese Antwort war sicher keine Bösartigkeit, sondern einfach ein Ausdruck der kapitalistischen Gesetze der Massenmedien. Mir ist es sehr nahe gegangen, zumal der Hintergrund meiner Anfrage bei dpa bekannt war.

»Wenn ich zusehe, werde ich zur Mittäterin«

Warum haben Sie zwischen die Bilder von Opfern Ansichtskarten deutscher Städte und, als zweites Element, Spiegel montiert?

Es war mir von Anfang wichtig, mit der Arbeit über das bloße Gedenken hinaus zu gehen. Diese Morde sollen nicht losgelöst von der gesellschaftlichen Situation gesehen werden. Wir alle sind Teil dieser Gesellschaft. Wir sind involviert, ob wir wollen oder nicht. Die Postkarten zeigen den Tatort Deutschland. Postkarten sind Selbstporträts, mit denen Gemeinden zeigen wollen, wie gut, wie schön es bei ihnen ist. Der Besucher schreibt sie aus dem Urlaub, um zu übermitteln, wie gut es ihm geht. Nicht wenige der Opfer sind nach Deutschland gekommen, weil sie hier einen Ort gesucht haben, an dem es ihnen besser gehen sollte, an dem sie Schutz finden würden. Ich habe die Postkarten beliebig ausgewählt, weil die Morde überall stattfinden, nicht nur im Osten, auch in Baden-Württemberg. Auch visuell stellen sie einen Bruch zum stillen Gedenken dar, weil sie als einziges farbiges Element in Kontrast zu den einfarbigen Tafeln stehen.

Besteht nicht die Gefahr, das Gedenken an die Opfer für eine Kritik der Verhältnisse zu benutzen, in denen sie zu Opfern wurden?

Es ging mir durchaus darum, den Opfern Anerkennung zu verschaffen. Aber das Gedenken ist auch problematisch. Es gibt ein leeres Gedenken; Steine, die aufgestellt, und Tage, die absolviert werden. Ich habe nicht den Eindruck, dass da auch nachgedacht wird. Ich weiß nicht, was die Leute denken, wenn sie sich diese Toten ansehen. Ich finde es legitim, Fragen zu stellen, die unangenehm sind, auch mir sind sie unangenehm.

Was meinen Sie damit?

In den Spiegeln, die zwischen den Bildern der Opfer hängen, sieht sich der Besucher unvermittelt selbst, umringt von den Gesichtern der Toten. Mit den Begriffen Täter, Opfer, Zuschauer, alle versehen mit einem Fragezeichen, gebe ich eine Frage an die Besucher weiter: Ich bin ganz klar davon überzeugt, dass ich helfen muss, wenn jemand angegriffen wird. Ich weiß aber auch, dass ich in einer solchen Situation Angst haben werde. Wenn ich eingreife, laufe ich selbst Gefahr, angegriffen zu werden. Wenn ich aber nicht eingreife, mache ich mich zur Mittäterin. In diesem Widerspruch bewege ich mich und ich will, dass auch die Besucher darüber nachdenken.

Gibt es unter den vielen Todesopfern eines, dessen Schicksal sie besonders beschäftigt hat?

Obwohl ich es nicht unbedingt will, ist es so, dass auch mir die Fälle, bei denen ich das Gesicht des Opfers sehe, näher gehen. Das Bild ist die Hilfe, sich den Menschen, wie er vielleicht war, wie er vielleicht gelebt hat, vorzustellen.

Rebecca Forner wurde 1970 in Baden-Württemberg geboren. Die politisch engagierte Grafikerin arbeitete in antifaschistischen Initiativen und studierte Kommunikationsdesign an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Sie lebt in Bilbao.

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