Polizist:innen sind juristisch unantastbar


© Dr. Falko Drescher

Dr. Falko Drescher arbeitet als Rechtsanwalt in Potsdam und hat zum Thema “Wer kontrolliert die Polizei? Eine Untersuchung zu Problemen der Polizeikontrolle im Land Brandenburg” promoviert. Wir haben uns mit ihm getroffen, um über rechtswidrige Polizeigewalt zu sprechen.

Was sind Ihre Erfahrungen mit von Polizist:innen begangenen, rassistisch motivierten Körperverletzungen? Welche Herausforderungen sind damit verbunden und warum kommt es da so selten zu Verurteilungen?

Wenn Polizist:innen rechtswidrig Gewalt angewandt haben und sich dafür rechtfertigen müssen, behaupten sie in der Regel, dass sie einen Angriff abwehren mussten. Aufgrund eines etablierten Zusammengehörigkeitsgefühls werden sie dabei meist von anderen Polizist:innen gedeckt. Wer also rechtswidrig durch die Polizei verletzt wird, hat eine gute Chance, obendrein noch eine Strafanzeige wegen (versuchter) Körperverletzung, Widerstandes und Beleidigung zu kassieren. Es kommt in diesen Fällen also zu Verurteilungen; allerdings deshalb, weil oft die Opfer vor Gericht gestellt werden. Dort wirkt es sich für die Betroffenen negativ aus, dass nach Konflikten zwischen Polizist:innen und Bürger:innen die Polizei die absolute Herrschaft über die Darstellung der Geschehnisse hat. Die Behauptungen der Polizei wirken wie in Stein gemeißelt. In der Justiz gibt es einen immensen Vertrauensvorschuss in die Polizei, der geradezu ideologisch wirkt.

Die Darstellungshoheit der Polizei wird dadurch flankiert, dass man die polizeilichen Zeug:innen (sogenannte Berufszeug:innen) ermuntert, vor einer Gerichtsverhandlung den Akteninhalt durch zu arbeiten. Wenn man als normale Bürgerin oder Bürger vor Gericht mitteilen würde, dass man sich die Schilderungen anderer Zeug:innen angelesen und die Aussagen in Gruppenbesprechungen abgestimmt hat, würde die Aussage völlig entwertet sein. Zu Recht. Bei Polizist:innen wird hingegen behauptet, sie hätten sogar die Pflicht, derartiges Zeugendoping zu betreiben. Selbst wenn ich als Anwalt mit Hartnäckigkeit und etwas Glück herausarbeiten und nachweisen kann, dass ein Polizist vor Gericht gelogen hat, führt das nicht zu einer Verurteilung wegen Falschaussage, weil solche Verfahren wegen „Geringfügigkeit“ eingestellt werden.

In Brandenburg wählen ein Viertel de Wahlberechtigten AfD, das erlaubt einen Eindruck über die Verbreitung rechtsradikaler Vorstellungen in der Bevölkerung. Die finden sich auch bei der Polizei und in der Justiz. Richter:innen reagieren aber zumeist ungehalten und mit Unverständnis, wenn ein:e Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt die politische Ausrichtung von auffällig gewordenen Polizist:innen thematisiert. Man fürchtet sich vor einer Diskussion über die naheliegende Möglichkeit, dass in Deutschland rechtsextreme Beamt:innen, die immerhin bewaffnet sind und das staatliche Gewaltmonopol ausüben, ihre Macht gegenüber Menschen, die ihrem Feindbild entsprechen, missbrauchen.

Erfahrene Rechtsanwält:innen raten deswegen dringend davon ab, Strafanzeigen gegen Polizist:innen zu stellen. Sieht man sich die Statistiken zur Ahndung von Straftaten im Amt an, wobei ja nur ein geringer Teil überhaupt bekannt wird, kommt man zu dem Schluss, dass Polizist:innen juristisch unantastbar sind. Diese Botschaft wird von diesen natürlich wahrgenommen, was überhebliches, grenzüberschreitendes und strafbares Verhalten fördert. Das Ansehen der Polizei und das sogenannte Sicherheitsempfinden in der Bevölkerung leiden allerdings darunter.

Was muss sich systematisch ändern, damit solche Fälle besser geahndet und verhindert werden können? Welche Rolle kann da eine Polizeibeschwerdestelle spielen?

Zunächst einmal wäre es ratsam, ganz genau zu schauen, wen man in den Polizeidienst aufnimmt. Personen, die Rassismus, Extremismus, Gewaltaffinität, Korpsgeist und toxische Männlichkeit in die „cop culture“ einbringen, müssen konsequent aus der Polizei herausgehalten werden.

Dann benötigen wir dringend eine unabhängige Ermittlungsinstanz, wenn es um Vorwürfe gegen Polizist:innen geht. Europäische Gremien und Gruppen wie Amnesty International fordern eine solche schon seit langem. Das heißt, dass nicht die Polizei gegen sich selbst und auch nicht die Staatsanwaltschaft, die den Weisungen des Justizministeriums unterliegt, die Ermittlungen durchführen sollen.

Gerade dann, wenn es nicht bloß um weniger schwerwiegendes Fehlverhalten (wie z.B. Unhöflichkeit) geht, sondern um Straftaten, ist es den Beschwerde- bzw. Polizeibeauftragtenstellen bisher untersagt, tätig zu werden. Von eigener Ermittlungs- oder Anklagebefugnis dieser Stellen, die am ehesten als unabhängig angesehen werden können, sind wir weit entfernt.

Der Hoffnungsschimmer besteht darin, dass ein Hauch von ziviler Kontrolle in den abgeschotteten Polizeiapparat Einzug hält und so eine Kulturveränderung eingeleitet wird. Es bleibt abzuwarten, ob sich hieraus substanzielle Verbesserungen entwickeln oder es bei einem Feigenblatt bleibt.

Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang zivilgesellschaftliche Organisationen? Was können sie effektiv bewirken?

Wenn zivilgesellschaftliche Organisationen immer wieder den Finger in die Wunde legen, lassen sich Verbesserungen erreichen. Ich erinnere an die über Jahrzehnte erbittert geführte Diskussion um die Dienstnummerntragepflicht. Bürgerrechtliche Organisationen haben diese immer wieder gefordert, damit in Fällen nicht-rechtmäßiger Gewaltanwendung durch Polizist:innen die Täter:innen überhaupt identifiziert werden können. Trotz großen Widerstandes aus der Polizei hat sich diese Forderung letztlich doch durchgesetzt. Auch wenn man sagen muss, dass die Polizei hierauf sofort mit neuen Strategien reagiert hat. So werden Festnahmen nun regelmäßig abgeschirmt, indem sich eine Gruppe Beamter als Sichtschutz (sog. Festnahmeglocke) postiert. Wichtig sind Unterstützer:innen auch deshalb, weil polizeiliche Straftaten oft traumatisierend wirken und die Betroffenen jede Form „moralischer Unterstützung“ gebrauchen können, um dem Gefühl der Ohnmacht zu entkommen.

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