Die Verfolgung rechtsextremistischer Straftaten durch die Staatsanwaltschaft Neuruppin

Bundestags- und Landtagsabgeordnete beim Fachtag im September 2006 in Neuruppin (Foto: Aktionsbündnis)
Bundestags- und Landtagsabgeordnete beim Fachtag im September 2006 in Neuruppin (Foto: Aktionsbündnis)

Sehr verehrte Frau Ministerin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Herr General- staatsanwalt, meine Damen und Herren,

ich begrüße sie recht herzlich in der Staats- anwaltschaft Neuruppin zur Vorstellung eines stark repressiv ausgerichteten Ansatzes zur Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ist eine reine Strafverfolgungsbehörde. Wir verstehen unsere Tätigkeit zwar auch unter Präventionsgesichtspunkten – »Prävention durch Repression«, dazu werde ich später etwas ausführen –, gesetzliche Aufgaben haben wir hier allerdings nicht. Die Verfolgung rechtsextremistischer Straftaten ist nur eine der Aufgaben, die wir hier zu erfüllen haben. Seit der Gründung der Staatsanwaltschaft Neuruppin am 1. Dezember 1993 haben uns politisch motivierte Straftaten im Norden des Landes Brandenburg in Atem gehalten und unsere ganze Aufmerksamkeit gefordert.

Straftaten mit rechtsextremistischem, fremden- oder ausländerfeindlichem Hintergrund beschädigen, von den Auswirkungen auf das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung einmal abgesehen, seit Jahren das Ansehen des Landes, auch im Ausland. Wirtschaftliche Auswirkungen auf den Standort Brandenburg sind evident. So berichteten vor einiger Zeit auflagenstarke Zeitungen in Kairo und London über eine – aus unserer Sicht nicht besonders außergewöhnliche – ausländerfeindliche Attacke zweier Rechtsextremer auf einen Ägypter in einem Zug in der Nähe von Neustadt. Sie waren irgendwie auf die Sache aufmerksam geworden und hatten sich anschließend bei uns darüber informiert. Unserem Kommentar, es handele sich bei solchen Taten nicht um einen Flächenbrand, wurde mit Skepsis begegnet. Nein, es ist kein Flächenbrand – ein Einzelfall ist es aber genauso wenig. Es ist einer von unerträglich vielen Einzelfällen. Manchmal ist es zum Verzweifeln: Phasen längerer, scheinbarer Beruhigung des Problems folgt unvermittelt eine oder eine ganze Serie neuer schwerer Taten mit erheblicher Resonanz in der Öffentlichkeit. Man fühlt sich als Staatsanwalt manchmal wie Herakles beim Kampf mit der Hydra.

Wie Frau Ministerin bereits unterstrichen hat, gibt es mehrere Ansätze, rechtsextremen Erscheinungsformen entgegen zu treten. Es handelt sich um eine gesellschaftliche Herausforderung. Die Verfolgung als Straftat ist dabei nur ein Stück – und nicht das wichtigste – des gesellschaftlichen Kuchens zur Lösung des Problems. Ich sage das insbesondere deshalb, weil einige meinen, in erster Linie den Strafverfolgungsbehörden die Zuständigkeit hierfür aufbürden zu müssen. Wir haben nur die Möglichkeit zu reagieren, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Uns steht nur der repressive Ansatz zur Verfügung. Die bei uns in diesem Bereich tätigen Staatsanwälte sind gehalten, den strafrechtlichen Druck auf die Szene so hoch wie möglich zu halten. Darin sehen wir den Kern unseres Beitrages zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. »Null Toleranz« – Schnell und hart, unter Ausreizung aller strafprozessualen Möglichkeiten, zu reagieren, das ist das Motto der Behörde. Ein Anspruch, dem wir aus personellen Gründen in diesem Maße nicht in allen Deliktbereichen entsprechen können.

Das strafprozessuale Vorgehen

Politisch motivierte Straftaten – Gewaltdelikte, Sachbeschädigungen, Brandstiftungen und Propagandastraftaten – haben, was deren Verfolgung angeht, bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin absolute Priorität. Ich will Ihnen kurz skizzieren, mit welchen Sofortmaßnahmen wir auf Straftaten in diesem Deliktbereich reagieren. Es gibt zunächst einen besonderen staatsanwaltschaftlichen Bereitschaftsdienst für politisch motivierte Straftaten, der rund um die Uhr besetzt ist und von der Polizei sofort verständigt wird, wenn ein politisch motiviertes Delikt vorliegt. Die Einstufung der Tat als eine politisch motivierte ist mitunter schwierig, denn nicht immer ist der Hintergrund einer Tat sofort zu erkennen. So kann es sich bei Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten auch einmal um einen Streit um die gemeinsame Freundin handeln. Ein überregional bekannt gewordenes Beispiel zunächst unsicherer Bewertung war der Fall »Potzlow« im Jahr 2002. Rechtsextreme machten hier einen »Kumpel« zum Opfer, indem sie ihn zwangen zu sagen: »Ich bin Jude«, um ihn anschließend zu quälen und zu töten. Wir haben die Tat als rechtsextremistisch eingestuft und verfolgt. Wenn eine solche Einstufung erfolgt ist, wird zum einen die Leitung des Ermittlungsverfahrens zu einem frühen Zeitpunkt einem Staatsanwalt der politischen Abteilung übertragen, und es wird zum anderen ein möglichst schneller Abschluss des Ermittlungsverfahrens angestrebt.

Das strafprozessuale Vorgehen ist darauf ausgerichtet, eine zeitnahe und deutliche staatliche Reaktion zu erzielen. Neben der Ausreizung der Möglichkeiten zur Beschlagnahme von Tatmitteln – Tatwerkzeuge, Propagandamaterial, Führerschein, Fahrzeuge und so weiter – sowie der zügigen Beendigung des Ermittlungsverfahrens, geschieht dies vor allem durch eine extensive Prüfung der Haftfrage. Wir versuchen, die Täter sofort von der Straße herunter und aus der Szene heraus zu bekommen. Das Signal der Untersuchungshaft ist auch gegenüber der Öffentlichkeit von Bedeutung. Denn mitunter interpretieren die Bürger und die Medien es als Zeichen staatlicher Schwäche, wenn Rechtsextreme nach begangenen Straftaten noch »draußen herumlaufen«. Zwar kann die öffentliche Meinung nicht der Maßstab unseres Handelns sein, auf der anderen Seite sollte man aber auch die Wirkung sofortiger Untersuchungshaft auf den Täter und Gleichgesinnte nicht unterschätzen. Regelmäßig bereitet uns das restriktive Haftrecht erhebliche Probleme. Oft fehlen uns, von besonders schwerwiegenden Taten und unbelehrbaren Wiederholungstätern abgesehen, die Haftgründe Flucht- und Wiederholungsgefahr.

Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens sind wir an schnellen Verurteilungen interessiert. Zum Teil konnten wir durch die Anwendung des beschleunigten Verfahrens bereits am Tag nach der Tatbegehung eine Verurteilung erreichen. Die Voraussetzungen dafür sind eine einfache Beweislage und eine zu erwartende Jugend- oder Freiheitsstrafe von nicht über einem Jahr. Die »normale« Anklage, außerhalb des beschleunigten Verfahrens, wird bei umfangreicheren Ermittlungen im Regelfall maximal sechs Wochen nach der Tat erhoben. Wir liegen hier im Durchschnitt bei zweieinhalb Wochen. Bei jugendlichen Straftätern wäre die Anwendung des beschleunigten Verfahrens mitunter wünschenswert, das ist aber leider nicht zulässig – trotz des dem Jugendstrafrecht innewohnenden besonderen Beschleunigungsgebots, nach dem die Ahndung der Tat auf dem Fuße folgen soll.

Bei Hauptverhandlungen vor Gericht spielen eine Reihe von Faktoren eine Rolle: Zunächst kann man beobachten, dass die Höhe der Strafen bei politischen Delikten in der Szene durchaus bekannt ist und die Täter sich in der Hauptverhandlung – anders als dies früher der Fall war – kaum noch offen zu ihrer Gesinnung bekennen. Insbesondere bei Gewaltdelikten ist unser Ziel eine empfindliche Strafe mit generalpräventiver, das heißt allgemein abschreckender Wirkung auf die Szene. Dazu streben wir Strafen ohne Strafaussetzung zur Bewährung an. Kein Problem haben wir bei Jugend- oder Freiheitsstrafen über zwei Jahren, weil hier ein gesetzliches Verbot der Strafaussetzung gilt. Haftstrafen von bis zu zwei Jahren werden bei Jugendlichen oder Heranwachsenden jedoch fast immer zur Bewährung ausgesetzt, wenn es sich nicht um besonders schwerwiegende Taten handelt oder eine erhebliche Vorbelastung vorliegt. Generalpräventive Strafzumessungserwägungen sind nur im Erwachsenenstrafrecht zulässig. Insgesamt haben wir im Bereich der politisch motivierten Kriminalität jedoch häufiger einen Konsens mit Richtern über die Strafhöhe, als dies bei der allgemeinen Kriminalität der Fall ist, so dass wir in diesen Verfahren weniger Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben als in anderen Deliktbereichen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass wir bereits seit langer Zeit die strafprozessualen Möglichkeiten gegen rechtsextremistische Taten voll ausreizen. Die Repression ist »am Anschlag«.

Das strafprozessuale Vorgehe

Bei der Verfolgung Jugendlicher und Heranwachsender haben wir eine besondere Situation, die uns Schwierigkeiten bereitet. Die Verfolgung politisch motivierter Delikte ist aufgrund des Alters der Täter häufig im Jugendstrafrecht angesiedelt, in dem ein erheblich höherer Täterschutz gilt. Dieser ist natürlich am höchsten bei Kindern, die aufgrund einer unwiderlegbaren Vermutung fehlender Einsichtsfähigkeit bis zum Alter von 14 Jahren als strafunmündig gelten. Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren sind bestrafbar, insofern eine Einsichtsfähigkeit in das Unrecht des Handelns vorliegt. Heranwachsende, also Menschen im Alter von 18 bis 20 Jahren, sind in der Regel als Erwachsene zu bestrafen, es sei denn, sie werden ausnahmsweise Jugendlichen gleich gestellt. Hier haben wir aber in der Rechtspraxis eine Umkehrung: Heranwachsenden wird regelmäßig der Schutz des Jugendstrafrechts zuteil, während dies vom Gesetzgeber an sich nur ausnahmsweise vorgesehen ist.

Was nun die Untersuchungshaft betrifft, so folgt im Jugendstrafrecht aus dem Vorrang des Erziehungsgedankens der Vorrang einer Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe, während die Untersuchungshaft hier nur die ultima ratio darstellt. Wir haben in Brandenburg in Frostenwalde erfolgreiche Einrichtungen der Jugendhilfe zur Unter-suchungshaft-Vermeidung. Rechtextreme Gewalttäter sind hier die absolute Ausnahme und nicht gern gesehen. Wenn nun aus diesen Gründen ein Haftbefehl gegen rechtsextreme Gewalttäter ausbleibt, werden wir mit einem weitgehenden Unverständnis in der Öffentlichkeit konfrontiert. Das betrifft die Medien, aber wir haben wir auch Anrufe von Schulleitern gehabt, die uns schilderten, dass das Ausbleiben der Untersuchungshaft nicht gegenüber dem Rechtsempfinden der Schüler zu vermitteln ist, die dies als fehlende staatliche Reaktion einordnen.

Ein Beispiel hierfür ist der Fall des der NPD nahe stehenden Heranwachsenden Michael M. aus Rheinsberg, der in diesem Jahr bei mehreren Anschlägen auf Einrichtungen ausländischer Gewerbetreibender in Erscheinung getreten ist. Weil es sich bei ihm um einen unverfrorenen Wiederholungstäter handelte, hatten wir uns zum Ziel gesetzt, einen Haftbefehl zu erwirken und dann zu einer Verurteilung zu einer Strafe ohne Strafaussetzung zu gelangen. Der Haftbefehl wurde mangels Haftgründen nicht ausgestellt, woraufhin wir eine Haftbeschwerde einlegten, die jedoch vom Landgericht zurückgewiesen wurde. Die Zurückweisung war zwar rechtlich nicht zu beanstanden, trotzdem musste sie als falsches Signal gegenüber der Szene gewertet werden. In diesem Fall haben wir wegen der Strafhöhenbegrenzung auf das beschleunigte Verfahren verzichtet und stattdessen eine zügige Anklageerhebung beim Jugendschöffengericht angestrebt. Unser Ziel war es, eine Verurteilung nach dem Erwachsenenstrafrecht zu erwirken, weil hier generalpräventive Strafzumessungsgesichtspunkte anwendbar sind. Im Jugendstrafrecht, in dem Straftaten als ein vorübergehendes Phänomen angesehen werden und der Erziehungsgedanke im Mittelpunkt steht, sind generalpräventive Erwägungen verboten. Dieses Ziel haben wir erreicht. Michael M. wurde als Erwachsener behandelt und »aus dem Stand« zu zehn Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt.

Das strafprozessuale Vorgehe

Abschließend will ich Ihnen einige Beobachtungen zum typischen Täterbild bei der politisch motivierten Kriminalität skizzieren, weil wir glauben, hier einen Wandel zu spüren. Das Bild des typischen rechtsextremen Gewalttäters ist geprägt von einer mäßigen Intelligenz, unzureichender Bildung und mangelhafter Erziehung. Man kann bei dieser Klientel durchaus einen weitgehenden Verlust traditioneller Werte feststellen, die sich unter anderem in einer unstrukturierten Fremden- und Ausländerfeindlichkeit sowie einer generellen Gewaltneigung ausdrückt. Bei den Taten kommen in der Regel eine gewisse Gruppendynamik und vor allem ungehemmter Alkoholkonsum hinzu. Viele Taten sind Spontantaten, die sich aus dieser Disposition und Dynamik erklären. Es sind also oft keine geplanten Taten vor dem Hintergrund einer politischen Überzeugung und der Nähe zu einer rechtsextremen Organisation. In der Hauptverhandlung äußerte sich das häufig dadurch, dass die Täter bemüht sind, den politischen Hintergrund ihrer Tat abzustreiten. Es hat sich herumgesprochen, dass sich das offene Bekenntnis zur rechtsextremen Gesinnung in der Strafzumessung niederschlägt.

Aus einigen Verfahren heraus hegen wir die Befürchtung, dass dieses Täterbild des »rechtsextremen Kampftrinkers« möglicherweise bald der Vergangenheit angehören könnte; eine Befürchtung deshalb, weil es noch schlimmer kommen könnte. Wir haben zwar keine wissenschaftlich belastbaren Erkenntnisse, glauben aber doch zu spüren, dass bei rechtsextremen Straftätern zunehmend eine Nähe zu und Steuerung durch rechtsextreme Organisationen wie der NPD, dem Schutzbund Deutschland oder der Kameradschaftsvereine erkennbar ist. Auffällig ist auch, dass Alkohol oft eine geringere Rolle spielt, das heißt, die Taten werden inzwischen zum Teil stocknüchtern begangen. Dazu kommt, dass die Straftäter häufig von den bekannten Szene-Rechtsanwälten vertreten werden und, während des Strafverfahrens und später in Haft, von der Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene (HNG) Betreuung erhalten. Wir erleben auch, dass rechtsextreme Gewalttäter in der Hauptverhandlung von im Publikum anwesenden NPD-Kadern unterstützt werden. Das sind Elemente, die die Tendenz bestärken, dass sich Täter kaum noch bemühen, ihre Taten und deren politisch motivierten Hintergrund zu verschleiern, sondern sich vielmehr bis in die Hauptverhandlung hinein offen zu ihrer Gesinnung bekennen.

Vielen Dank.

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