Das Hausprojekt Zelle 79 in Cottbus wurde in den vergangenen Monaten mehrfach zum Ziel rechter Angriffe. In diesem Interview schildern Bewohner:innen, wie sie die Angriffe erlebt haben und wie sie damit umgehen.
Opferperspektive: Das Hausprojekt Zelle 79 wurde mehrfach zum Ziel rechter Angriffe. Wie erlebt ihr die Situation in Cottbus und Südbrandenburg aktuell?
Zelle79: Man muss, so denken wir, konstatieren, dass sich die Bedrohungslage für nicht-weiße, nicht-rechte, linke, alternative Menschen und Einrichtungen, in den letzten Wochen und Monaten verschärft hat. Die Einschläge, in Form von Angriffen überall in Südbrandenburg, werden kürzer und die Gewaltbereitschaft bei den Angreifenden steigt.
Der Brandanschlag auf uns ist da sicherlich ein weiterer Höhepunkt in der Folge vieler Angriffe und zeigt deutlich, inwieweit organisierte Neonazis bereit sind, ihrer menschenverachtenden Ideologie Taten folgen zu lassen. Der Brandanschlag galt uns, wir sind jedoch nicht die Einzigen, die betroffen sind. Aufgrund des Anschlags gab und gibt es ein großes mediales Echo, welches wir auch nutzen wollen, um auf die Situation überall in der Region aufmerksam zu machen. Es brennt an allen Ecken und Enden.
Was im Umkehrschluss nicht bedeuten soll, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt in der Stadt oder in der Region, keinerlei Bedrohungssituationen oder -szenarien gab. Cottbus und der Landkreis drum herum sind seit Jahrzehnten ein Hotspot der extremistischen Neonazi-Szene in Deutschland. Diese Szene ist etabliert, auch in der Stadtgesellschaft, sie ist vernetzt, organisiert und besteht aus unterschiedlichen Akteur:innen, was immerhin auch dem Verfassungsschutz seit ein paar Jahren auffällt. Man muss sicherlich von einer Kontinuität sprechen, wenn es um rechte Gewalt in Cottbus und in der Region geht.
Von einer gewissen Entwicklung kann man mit großer Wahrscheinlichkeit bei der Betrachtung des Alters der Täter:innen sprechen. Diese werden zunehmend jünger, was jedoch kein ausschließliches Phänomen hier in der Region darstellt. In sozialen Medien wie TikTok findet eine (Vor-)Radikalisierung statt, die so vor ein paar Jahren nicht denkbar gewesen ist. Zudem wird mit dem Aufstieg und der Normalisierung der AfD zusätzlich Hass und Ausgrenzung befördert. Früher und heute eigentlich immer noch zu Recht Unsagbares drängt zunehmend in die öffentlichen Debatten, die Menschen werden enthemmter und irgendwann kanalisiert sich das dann in Taten.
Ihr seid Teil der neuen „Initiative Sichere Orte Südbrandenburg“: Welche Ideen habt ihr, um euch gegen rechte Bedrohungen zur Wehr zu setzen?
Ganz generell und vorab: Die “Initiative sichere Orte Südbrandenburg”, aber auch andere Formen der Vernetzung, schaffen Netze von einem solidarischen Miteinander über Stadt- und Landesgrenzen hinaus. Wir halten es für wichtig, sich gegenseitig zu stärken, füreinander einzustehen und betroffenen Gruppen, Vereinen, Räumen und Klubs die Möglichkeit zu geben, sich einen Raum in der Öffentlichkeit zu schaffen.
Denn zunächst einmal müssen wir solche Angriffe wie die auf unser Haus öffentlich machen, um die Problematik des Rechtsextremismus, nicht nur hier in der Region, sondern überall, wieder in das Bewusstsein der Gesellschaft zu kriegen. Manchmal hat man das Gefühl, dass die Leute entweder abgestumpft oder sich dessen überhaupt nicht bewusst sind. Mit der medialen Berichterstattung und der Präsenz im öffentlichen Raum ist es möglich, den Diskurs ein klein wenig mitzubestimmen und somit auch mit Forderungen an die Politik und die (Stadt-)Gesellschaft heranzutreten.
Auch hier muss das Ziel sein, dass die Bedrohungslage endlich ernst genommen wird und sich langfristige Strategien mit allen Akteur:innen, die für ein friedliches Miteinander kämpfen, entwickeln, um der wachsenden Gewaltbereitschaft von Neonazi-Gruppen entgegen zu treten. Das kann zum Beispiel bedeuten: mehr und nicht weniger Geld in die Jugendhilfe und Jugendsozialarbeit zu stecken, Initiativen, Klubs und Räume zu fördern, die sich mit ihrer Arbeit gegen diesen rechten Trend stellen, die Arbeit von Beratungsstellen wie die Opferperspektive langfristig finanziell abzusichern, eine klare Kante in der Öffentlichkeit gegen neonazistische Umtriebe zu zeigen usw. Es gibt viele Ideen und Strategien, das Problem muss jedoch endlich ernst genommen werden. Solange das nicht passiert, ist alles andere nur heiße Luft.
Was braucht es, um dem Erstarken rechter Strukturen – gerade unter jungen Menschen – entgegenzuwirken?
Ganz generell braucht es von allen Akteur:innen innerhalb der Stadt, der Region und des Landes, eine klare Haltung und keinerlei Kompromisse gegenüber Neonazis, rechten Schwurbler:innen, der AfD und anderen Menschenfeinden. Das sind keine “dummen Jungenstreiche” oder “Jugendsünden” und sollten nicht auch noch mit Dialogbereitschaft belohnt werden.
Wie oben bereits angesprochen spielen sicherlich Jugendhilfe, JugendKlubs und Jugendsozialarbeit beim Entgegenwirken rechter Ideologie bei jungen Menschen eine große Rolle. Diese sollten aus unserer Sicht personell und finanziell besser und nicht schlechter ausgestattet sein, als es bisher der Fall ist.
Lehrkräfte und politische Bildung müssen gestärkt werden, statt dort den Rotstift anzusetzen. Es nützt niemandem etwas, wenn jetzt schon überlastete Lehrkräfte noch mehr Stunden ackern müssen und weniger Zeit für die Schüler:innen haben.
In einer Stadt wie Cottbus muss man sicherlich auch den hier ansässigen Verein Energie Cottbus in die Pflicht nehmen, aktiver gegen neonazistische Umtriebe vorzugehen. Fußball ist ein Anziehungsmagnet für viele junge Menschen und das Stadion ist definitiv ein Rekrutierungsfeld von Nachwuchs für die rechte Szene. Seit Jahrzehnten geht der Verein diesem Konflikt mit einem Teil der eigenen Fans aus dem Weg, beschwichtigt und spricht von Ausnahmen. Und anstatt dass die Landesregierung oder die Stadt den Finger in die Wunde legt und eben Konsequenzen vom Verein einfordert, wird darüber beraten, das Stadion aus öffentlichen Mitteln zu modernisieren. Das kann nicht der richtige Weg sein, denn diesen gehen wir seit Jahrzehnten.
Bei ermittelten Gewalttaten und Gewalttäter:innen schläft bisher und seit jeher auch die Justiz. Eine angedachte abschreckende Wirkung, gerade auf jugendliche Täter:innen, ist hier in der Region nicht möglich, da Verfahren verschleppt, Ermittlungen eingestellt oder wenn, dann minimalste Urteile gefällt werden. Als quasi erzieherische Maßnahme muss sich, wenn man dies denn ernst nehmen will, etwas grundlegend im Justizapparat verändern. Vor allem auch im Mindset bei Staatsanwaltschaft und Richter:innen.
Der Diskurs in den sozialen Medien wie TikTok oder Instagram ist höchstwahrscheinlich noch einmal eine komplett andere Herausforderung, die eine Neuaufstellung und Strategieentwicklung von Politik, aber auch kulturellen und gesellschaftspolitischen Akteur:innen erfordert.
Wie bewertet ihr die Unterstützung, die ihr von offiziellen Stellen bekommen habt?
Wir waren erstaunt, dass sich der Oberbürgermeister und der neue Innenminister von Brandenburg zu Wort gemeldet haben. Das passiert leider viel zu selten und ist vermutlich auf die öffentliche Berichterstattung zurückzuführen, denn normalerweise wird das Thema in der Stadt eher totgeschwiegen. Da half der öffentliche Druck von vielen Seiten. Wie lange sich das hält und ob die Idee von Tobias Schick, die eines Runden Tisches, tatsächlich nachhaltig ist, bleibt abzuwarten. Wir sind da, auch und vor allem aufgrund der Vergangenheit, eher skeptisch, lassen das aber einmal auf uns zukommen. Es ist schließlich nicht der erste runde Tisch, der hier initiiert wurde. Auch was sich die Landesregierung überlegen wird, ist bisher unklar.
Wir speichern alles, was von politischer Seite aus bisher kam, erst einmal als wohlige Worte ohne nennenswerten Impact ab. Es ist zumindest positiv, dass sich überhaupt geäußert wird und man sich zusammen setzen will.
In die Arbeit der Staatsanwaltschaft und die der Polizei haben wir keinerlei Einblicke. Fest steht, dass Spuren aufgenommen wurden, bisher jedoch keine Täter ermittelt werden konnten. Weder beim jetzigen Brandanschlag, noch bei den Taten davor. Aufgrund der Öffentlichkeit gehen wir davon aus, dass die so entstandenen Ermittlungen ernst genommen werden, aber auch hier muss man sehen, wie nachhaltig dies am Ende ist.
Wie können euch Menschen unterstützen, auch außerhalb der Region?
Schafft Öffentlichkeit. In eurer Stadt, in eurem Kiez, in eurer lokalen Zeitung, im Podcast, im Internet. Macht auf die Leute in der Provinz und in den Kleinstädten aufmerksam, die die Fahne hochhalten, teilt ihre Geschichten und seid solidarisch mit- und untereinander. Organisiert Demonstrationen, veranstaltet Soli-Abende.
Soligrüße sind immer willkommen und Spenden natürlich auch. Nur zusammen werden wir die bessere Gesellschaft erkämpfen.
Dies ist die Langfassung des Interviews, das in gekürzter Form in der Ausgabe Juni 2025 der Schattenberichte erschienen ist.
Infos vom Hausprojekt Zelle 79 in Cottbus gibt es u.a. auf Instagram
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