»Ich schieb’ jetzt immer Panik«

HENNIGSDORF Sie schaut sich jetzt an jeder Ecke um, achtet auf Verdächtiges, auf lauernde Gefahren. Auf ihrem Körper hat sie Blutergüsse. An ihrer linken Wange zeichnet sich eine Schnittwunde ab. Am Kinn, unter dem rechten Auge und auf der Stirn prangen weitere kleine Wunden. Das sind die äußerlichen Verletzungen. Die Inneren, Seelischen lassen sich nur erahnen. »Ich schieb’ jetzt immer Panik«, sagt Nadine. Solch einen Überfall steckt niemand so einfach weg. Eine Woche ist es her, dass vermutlich Rechtsextreme sie hinterrücks angegriffen haben. Nach bisherigen Erkenntnissen geschah folgendes: Die 18-Jährige kommt vorigen Freitag gegen 1 Uhr mit der S-Bahn aus Berlin und geht durch Hennigsdorfs Bahntunnel. An der Stadtbibliothek hört sie plötzlich hinter sich Schritte und Stimmen. Jemand beschimpft sie: »Antifa-Schlampe!« In dem Moment, als sie sich umdrehen will, bekommt Nadine einen Schlag auf den Hinterkopf und geht zu Boden. Kurzzeitig wird sie bewusstlos. Sie will sich auf den Rücken drehen, da treten ihr die Angreifer ins Becken. Nadine wehrt sich mit aller Kraft, schafft es, ein Abwehrspray aus ihrer Tasche zu holen und sprüht um sich. Die Schläger lassen von ihr ab und Nadine rennt davon. So schnell sie kann. Dann rufen die Angreifer ihr noch die Namen zweier anderer Jugendlicher hinterher; die seien die nächsten, die könnten sich auf was gefasst machen.

Sie alle machen bei der Hennigsdorfer Antifaschistischen Initiative (HAI) mit. Eine neue Qualität habe dieser Angriff, sagt Judith Porath vom Verein Opferperspektive, der sich in Brandenburg um Opfer rechter Gewalt kümmert. »Was ich daran so bedrohlich finde, ist, dass es anscheinend ein gezielter Angriff auf eine junge Frau war, die politisch gegen Rechtsextremismus aktiv ist«, so Porath. Selbst wenn die Schläger Nadine nur zufällig entdeckt haben sollten, sei sie trotzdem gezielt angegriffen worden. Es ist nicht das erste Mal, dass Rechtsextreme auf Nadine losgehen. Im Brandenburgischen Verfassungsschutzbericht für 2007 heißt es unter der Überschrift »Beispiele spontaner rechtsextremistischer Gewalt gegen Linke«: »Am 16. Juli 2007 griffen fünf Rechtsextremisten eine Beteiligte an der Hausbesetzung in Hennigsdorf an. Sie packten sie am Hinterkopf und schlugen sie zweimal mit dem Gesicht gegen einen Briefkasten.« Sie zieht sich eine Gehirnerschütterung, eine Schädelprellung und eine verletzte Nase zu. »Die Täter wurden nie gefasst«, erzählt Nadine. Auch deshalb wollte sie diesmal nicht zur Polizei. Es erschien ihr sinnlos. Dann hörte sie doch auf den Rat der Freunde. Am Freitag um 17.31 Uhr erstattet die 18-Jährige schließlich Anzeige auf der Polizeiwache in Hennigsdorf. Am Montag darauf berichtet diese Zeitung vom Überfall und wird vom Schutzbereich Oberhavel dafür kritisiert. Noch am Montag behauptet Polizeisprecher Martin Werner, es liege keine Anzeige vor, und zieht die Aussagen des Opfers in Zweifel.Am Dienstag muss Werner zurückrudern. Ein Beamter der Hennigsdorfer Wache habe die Anzeige zu spät weitergeleitet. Noch am Vormittag holen Kriminalbeamte Nadine zu Hause ab, lassen sich den Hergang des Angriffs am Tatort erläutern und vernehmen das Opfer in Oranienburg. Darüber ist Nadine immer noch aufgebracht.

Über die Dauer, über den Verlauf, über kritische Fragen, warum sie nicht das Gesicht der Täter gesehen habe. Die 18-Jährige fühlt sich ausgehorcht, besonders, was die linke Szene und die HAI angeht. Dabei sei es entscheidend für das Vertrauen in die Polizei, wie die Beamten auf die Opfer eingehen, sagt Judith Porath von der Opferperspektive. »Die Polizisten haben eine große Verantwortung. Sie müssen die Opfer ernst nehmen.« In den vergangenen Jahren habe sich die Arbeit der Polizei in Sachen Rechtsextremismus aber wesentlich verbessert.
Die Ermittlungspanne in der Hennigsdorfer Wache will Porath nicht überbewerten. Es sei eher ein Fall von Schluderei als systematisches Fehlverhalten. Der Beamte hatte es wohl versäumt, den Fall noch am Freitag ins Computersystem der Polizei zu stellen. Denn so ist es laut Präsidiumssprecher Rudi Sonntag die Regel. Vorerst will Nadine weiter mitmachen bei der HAI. Auch Karl (Name von der Redaktion geändert), dessen Namen die Neonazis bei den Angriff auf die 18-Jährige gerufen haben. Zuletzt hat die HAI in der Stadt Aufkleber einer Gruppierung namens Hennigsdorfer AG entfernt. Darauf steht: »Hennigsdorfer Antifaschistische Initiative zerschlagen!« Oder sie sammeln Flugblätter am Bahnhof ein, auf denen etwas von »Nationaler Sozialismus« zu lesen ist. Auch Pöbeleien kennt Karl zu genüge. Rechtsextreme werfen ihm Döner oder Obst hinterher. Einmal musste ihn die Polizei nach Hause fahren, weil Neonazis vor einer Kneipe auf ihn warteten. Wenn die NPD die Rechtsextremen für den Kommunalwahlkampf einspanne, »dann wird es heiß hier«, sagt Karl. Bislang seien die Rechten in Hennigsdorf nur locker vernetzt gewesen, nun begännen sie, sich zur organisieren. Der rechtsextreme Szeneladen »On the Streets« sei für Anhänger aus ganz Nordbrandenburg und Berlin ein zentraler Anlaufpunkt.

Porath sieht die Stadt unter Zugzwang. »Der jüngste Angriff bedarf einer sehr deutlichen Antwort und muss auch politisch bewertet werden.« Dem Opfer Nadine wird das kaum helfen. Sie verabschiedet sich schon von Hennigsdorf, will irgendwann nach Berlin ziehen. »Ich habe ein bisschen Schiss, hier zu wohnen«, sagt die 18-Jährige. »Einen dritten Überfall muss es nicht geben.«

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