Den Worten Taten folgen lassen

Am 5. Juni 2013 berät der Brandenburger Landtag in erster Lesung über zwei Verfassungsänderungen:

Artikel 2 Absatz 1:
Brandenburg ist ein freiheitliches, rechtsstaatliches, soziales, dem Frieden und der Gerechtigkeit, dem Schutz der natürlichen Umwelt und der Kultur verpflichtetes demokratisches Land, welches die Zusammenarbeit mit anderen Völkern, insbesondere mit dem polnischen Nachbarn, anstrebt.

wird folgender Satz hinzugefügt:
Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen.(sog. Antirassismusklausel)

Artikel 12 Absatz 2:
Niemand darf wegen seiner Rasse, Abstammung, Nationalität, Sprache, seines Geschlechts, seiner sexuellen Identität, seiner sozialen Herkunft oder Stellung, seiner Behinderung, seiner religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung bevorzugt oder benachteiligt werden.

wird wie folgt verändert:
Niemand darf wegen der Abstammung, Nationalität, Sprache, des Geschlechts, der sexuellen Identität, sozialen Herkunft oder Stellung, einer Behinderung, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder aus rassistischen Gründen bevorzugt oder benachteiligt werden.

Der Gesetzentwurf wurde in internen Beratungen erarbeitet, ohne breite Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen. Er wird von allen Fraktionen, außer der CDU-Fraktion, getragen.

Positiv ist: Dieser Gesetzentwurf streicht endlich den Begriff „Rasse“ aus der Verfassung, nimmt Rassismus als Diskriminierungsgrund auf und führt eine geschlechtsneutrale Bezeichnung in den Gesetzestext ein. Das Land Brandenburg würde mit der neuen Antirassismusklausel zudem den Schutz vor rassistischer Stimmungsmache zum Staatsziel erklären. In der Praxis soll sich bei der Auslegung von Gesetzen auf diesen Verfassungsgrundsatz gestützt werden können, was zum Beispiel erlauben soll, neonazistische Aufmärsche und rassistische Hetze im Rahmen des bestehenden Versammlungsrechts zu erschweren und so beides zu garantieren: den Schutz der Versammlungsfreiheit und den Schutz vor rassistischer Stimmungsmache.

Mit einer solchen Verfassungsnovellierung würde anerkannt, dass Rassismus und rassistische Diskriminierung ernsthafte Probleme sind, die in Brandenburg existieren und Demokratie und Gesellschaft bedrohen. Aus unserer langjährigen Arbeit können wir beides bestätigen. Betroffene berichten uns von Diskriminierungserfahrungen in allen Lebensbereichen: bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, in Schule und Ausbildung, bei Sport- und Freizeitangeboten, in der Gesundheitsversorgung, als Kund_innen, und sie erleben Diskriminierung durch staatliche Institutionen wie Ämter und Behörden, aber auch in sozialen Einrichtungen. Hinzu kommen rassistische Beleidigungen und Bedrohungen im öffentlichen Raum. Rassistische Diskriminierung beeinflusst das Leben vieler Menschen in Brandenburg massiv, ein friedliches Zusammenleben erscheint Flüchtlingen, Saisonarbeiter_innen, Migrant_innen und Menschen mit Migrationshintergrund oft verwehrt.

Erstaunt sind wir deshalb über die Problembeschreibung in der Begründung des Gesetzesentwurfs, die ein konträres Bild von rassistischen Rechtsextremen auf der einen und einer nicht rassistischen Zivilgesellschaft auf der anderen Seite zeichnet. Rassismus ist indes leider nicht nur bei extremen Rechten und Neonazis zu finden, sondern in der Mitte der Gesellschaft.

Damit das Bekenntnis zum Schutz vor Rassismus und rassistischer Diskriminierung nicht bloße Absichtserklärung bleibt, fordern wir die Landesregierung auf, auch in der Praxis eine wirksame Antidiskriminierungspolitik zu betreiben, das heißt, eine Politik, die im staatlichen wie im nicht-staatlichen Bereich aktiv Maßnahmen gegen rassistische Diskriminierung ergreift und zugleich die Betroffenen schützt!

Davon kann zur Zeit keine Rede sein: Auf staatlicher Ebene gibt es aktuell keine ausgewiesene Stelle gegen rassistische Diskriminierung. Auf der Ebene der freien Träger gibt es für ganz Brandenburg nur die Antidiskriminierungsberatung der Opferperspektive, die für den großen Bedarf und die steigende Nachfrage viel zu gering ausgestattet und nur deren Finanzierung nur temporär gesichert ist.

Antidiskriminierungsberatung hat nicht nur das Ziel, die Betroffenen dabei zu unterstützen, sich gegen Diskriminierung zu wehren. Es geht vielmehr auch darum, durch Interventionen in Fällen von Diskriminierung einen gesellschaftlichen Entwicklungsprozess in Gang zu setzen, an dessen Ende die Überwindung von rassistischer Diskriminierung steht.

Erst wenn es zusätzlich zu den Versprechungen in der Verfassung umfassende Maßnahmen gegen Diskriminierung – möglichst verankert in einem Antidiskriminierungsgesetz, eine ausgewiesene staatliche Stelle und adäquat ausgestattete unabhängige Anlaufstellen gibt, wird von einer konsequenten Antidiskriminierungspolitik im Land Brandenburg als Wegbereiter für ein friedliches Zusammenleben die Rede sein können.

Antidiskriminierungsberatung Brandenburg/Opferperspektive e.V.

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