»Gleichgültigkeit ist für die Opfer das Schlimmste«

Potsdam. Manchmal traut Kai Wendel seinen Ohren nicht. Da hatte eine Gruppe rechtsgerichteter Jugendlicher in Fürstenwalde erst Scheiben von »Döner«- und »China«-Imbissbuden eingeschlagen, und dann eine Wohngemeinschaft linker Jugendlicher überfallen und mehrere Bewohner krankenhausreif geschlagen. Trotzdem war dies für die örtliche Polizei eine »normale Nacht« mit Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und Körperverletzung. »Der ideologische Hintergrund wurde völlig ausgeblendet«, empört sich der 38jährige Politologe.

Fassungslosigkeit gehört immer wieder zum Alltag des Potsdamer Vereins »Opferperspektive«, der sich seit zwei Jahren um die Opfer rechter Gewalt in Brandenburg kümmert.

Doch es gibt auch positive Überraschungen. Nach den milden Urteilen im sogenannten Hetzjagdprozess in Cottbus hat Wendels Verein ein Sonderkonto eingerichtet, damit die Angehörigen des am 13. Februar 1999 in Guben zu Tode gehetzten Algeriers Farid Guendoul in die Revision gehen können. Innerhalb von zwei Wochen waren bereits mehr als die notwendigen 40000 Mark zusammen gekommen. »Das zeigt die Empörung in der Bevölkerung über die Urteile und macht uns Mut.« Dazu dürfte auch die Carl-von-Ossietzky-Medaille beitragen, die der bundesweit einmalige Verein »Opferperspektive e.V.« am Wochenende von der Internationalen Liga für Menschenrechte verliehen bekommt.
Denn nur die wenigsten Menschen, die Opfer von rechtsradikalen Übergriffen wurden, melden sich selbst. »Viele sind eingeschüchtert, manche auch traumatisiert«, berichtet Wendel.

Zumeist nimmt der Verein den Kontakt auf. Während Ausländer erst einmal mit dem deutschen Rechtssystem einschließlich den Chancen einer Nebenklage vertraut gemacht werden, müssen die Mitarbeiter des Vereins bei linken Jugendlichen und Behinderten oft harte Überzeugsarbeit leisten, damit sie überhaupt Anzeige erstatten. »Das bringt nichts. Die Polizei ermittelt nicht. Zeugen werden schweigen. Die Rechten werden sich rächen«, fasst Wendel die Beweggründe zusammen.

Doch vor allem versucht »Opferperspektive«, die Betroffenen nicht allein zu lassen. »Wir besuchen die Heimatorte der Opfer, schauen uns das Umfeld an, gehen zu ihren Cliquen«, beschreibt er seine Arbeit. Denn ein rechter Überfall gelte immer der gesamten Gruppe. »Die Gleichgültigkeit und die ausbleibende öffentliche Empörung nach der Tat sind für die Opfer das Schlimmste. Denn damit ist die Botschaft verbunden: Die Gesellschaft hat keinen Platz für euch.« Die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter betreuen derzeit rund 80 Menschen. Inzwischen gibt es vier weitere Beratungsstellen in der Mark, die mit »Opferperspektive« eng verbunden sind.

Auf eine Art völkischen Konsens, der sich gegen alles Fremde richtet, stößt Wendel bei seiner Arbeit oft: »In manchen Orten haben die Rechten keine Gegner mehr. Ihre Ansichten werden akzeptiert, gelten als normal«. Haben nicht die Sommerdebatte und die vielen Appelle das Klima verändert? Es gehe eher darum, sagt Kai Wendel, etwas zu tun. Er verweist darauf, dass Millionen in ostdeutsche Jugendclubs geflossen sind, in denen die braune Szene die überforderten ABM-Betreuer oft fest im Griff hat. Nicht-rechte Initiativen würden hingegen bis heute kaum gefördert.

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