„Wir sind gekommen, um zu bleiben“


Haus des Wandels (HdW) im Landkreis Oder-Stree (© Maria Jou Sol)
Interview mit dem Haus des Wandels über Selbstorganisation im ländlichen Raum

1. Was ist das Haus des Wandels und seit wann gibt es euch schon?

Das HdW existiert seit 2018 und ist ein Wohnprojekt, soziokulturelles Zentrum und postlokaler Dorfplatz* in Heinersdorf (Steinhöfel) im Landkreis Oder-Spree.

2. Wie seid ihr organisiert?

Das Haus des Wandels ist ein Commons, also Gemeinschaftseigentum. Was nicht bedeutet, dass das Haus jedem beliebigen Menschen gehört, sondern dass es den Menschen gemeinsam gehört, die sich darum kümmern. Dementsprechend gibt es eine Projektgruppe vor Ort, die im Haus lebt und darum bemüht ist, nach und nach mehr Infrastruktur auszubauen. Als Wohnraum und als Projektfläche für Selbstorganisation. Dinge, die alle was angehen, werden im Plenum entschieden und dann von Kleingruppen umgesetzt, die sich oft Unterstützung aus unseren Netzwerken oder aus unserer direkten Nachbarschaft holen. Das trifft auf alles zu, ob Workshop-Wochenende oder Elektro-Baustelle.

3. Was können Menschen bei euch machen?

Als soziokulturelles Zentrum stellen wir Raum für lokale Selbstorganisation, wie das Heinersdorfer Töpferstübchen, Nähgruppe Elsa oder die Dorfbibliothek. Gemeinsam mit diesen und anderen lokalen Initiativen richten wir Frühlings- oder Wintermärkte aus. Mit dem Verein LandKunstLeben, der seit 2 Jahrzehnten zeitgenössische Kunst, internationalen Austausch und sozialräumliches Gefüge in der Gemeinde fördert, arbeiten wir an einem lokalen Kultursyndikat. Das heißt, wir organisieren Kunstausstellungen, Künstler*innenresidenzen, Lesungen, Workshops, Infoveranstaltungen usw. Mehr dazu gibt es auch auf der Seite www.dok15518.org.

Als postlokaler (Orte an verschiedenen Stellen der Welt miteinander verbindend) Dorfplatz* (kollektiver Begegnungsort) haben wir Kollektive und Projektgruppen aus verschiedenen Zusammenhängen zu Gast, die ebenfalls aktiv daran arbeiten, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Es geht um den Austausch von Ideen und Erfahrungen. Das findet sowohl in internen Formaten als auch in Form von öffentlichen Veranstaltungen statt.

DoK 15518 Halloween Happening 2022 im Haus des Wandels „Gruselhaus am Park“ mit der Künstlerin Heidi Vargensdottir (© Boris Kramarić)

4. Wie entstehen Initiativen wie das Töpferstübchen oder die Nähgruppe?

Das Töpferstübchen und die Nähgruppe gibt es länger als das Haus des Wandels. Das sind Initiativen, die von ganz anderen Leuten aus Heinersdorf und Umgebung initiiert wurden und gepflegt werden. In dem Haus wurden in den Jahren 2016/17 von der Landesregierung geflüchtete Menschen untergebracht. Ausgehend davon hat sich z.B. die Initiative Töpferstübchen über bestehende Integrationstöpfe gegründet. Es gab die Motivation von ein paar Menschen aus dem Dorf, Brücken zu bauen. Fast alle Geflüchtete, für die diese Initiative gegründet wurde, sind heute nicht mehr da. Aber die Initiative besteht nach wie vor fort. Es ist schön das wir uns in eine Reihe von aktiven Strukturen, die es bereits im Dorf gibt, stellen können.

5. Wie entstehen die Kontakte zu den Menschen vor Ort in Heinersdorf und Umgebung?

Unser Projekt befindet sich auf der Hauptstraße, wir sind also mitten im Dorf gelegen. Da das Haus früher ein Ausbildungszentrum für junge Leute war, haben viele Menschen aus Heinersdorf (vor allem die Älteren) irgendwann mal in diesem Haus gelehrt, gelernt oder gearbeitet. Dementsprechend ist die Hemmschwelle, dieses Haus zu betreten verhältnismäßig niedrig. Zusammen mit den Dorfinitiativen bedeutet das, dass viele Nachbar*innen ein- und ausgehen und wir ihnen dementsprechend regelmäßig begegnen. Dadurch ergeben sich immer wieder Gespräche und in manchen Fällen Freundschaften. Wir sind herzlich eingeladen mit zu töpfern und mit Nähgruppe Elsa haben wir schon für Kunstprojekte kollaboriert.

Wir machen gelegentlich auch kleine Aktionen: Z.B. holen wir Blumen ab, bevor sie im Container landen. Diese verschenken wir dann vor unserem Haus. Darüber kommen wir auch mit Leuten in Kontakt, die etwas schüchterner oder skeptischer sind.

Wären wir an einem Ort, wo die Leute selbst nicht so aktiv wären, könnten wir dieses Projekt nicht so umsetzen. Vieles entsteht über eher informelle nachbarschaftliche Prozesse. Wir schauen, welche lokalen Bedarfe und Interessen es gibt, wie sie mit unseren Prinzipien vereinbar sind und überlegen gemeinsam, wie diese bei uns im Haus oder auf dem Gelände realisiert werden können. Wir bieten keinen Service, sondern sind interessiert an gegenseitiger Unterstützung. Das hat auch viel mit Vertrauen zu tun.

6. Ihr versteht euch als einen Ort für „utopische Forschung“ und seht den HdW als „Versteck“. Wovor versteckt ihr euch und was war die Motivation, das HdW zu gründen? Was ist so utopisch am HdW?

Wir verstehen uns als queer-feministisches Projekt. Das bedeutet für uns auch, mit Blick auf Diskriminierung und Privilegien, dass wir mit dem Haus des Wandels einen Rahmen schaffen, der es uns erlaubt, grundsätzliche Dinge radikal anders zu versuchen. Wir haben das Gefühl, dass eine ganze Reihe von Gesellschaftsverträgen überarbeitet und den Herausforderungen unserer Zeit angepasst werden müssen. Daran wollen wir uns praktisch beteiligen. Das HdW als Versuchsfeld. Unseren Projektalltag und die Projektentwicklung betrachten wir Sorge- und Bedarfszentriert, wobei Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema ist. Care gibt uns Werkzeuge an die Hand, Gemeinschaft anders als in gängigen Mustern zu denken. Diese Werkzeuge statten uns mit privaten, ästhetischen und politischen Möglichkeiten aus, die Welt mitzugestalten und erlauben uns, uns nicht in Konzepte wie starre Regeln und Hierarchien, Ausbeutung, Trennung oder Ausschließlichkeit drängen zu lassen.

7. Welche Vorteile gibt es und welchen Herausforderungen seid ihr auf dem Brandenburger Land konfrontiert?

Wir wollen Teilhabe für diverse Lebensformen in ländlichen Räumen. Wir haben viele Menschen getroffen, die sehr offen sind. Großes Interesse und eine bewundernswerten Willen haben, ihren Lebensraum selbstbestimmt und gemeinschaftlich mitzugestalten. Haltungen wie Subsistenz und solidarische Nachbarschaft sind verbreitet. Da decken sich unsere Interessen, das schafft viel Gestaltungsraum und Begegnungen mit Menschen, die wir sonst vielleicht nur in der Schlange an der Supermarktkasse treffen würden.

Herausfordernd sind aber der schlecht ausgebaute Nahverkehr, die Überlastung der meist ehrenamtlichen Akteure und der begrenzte Spielraum der Kommunen. Die Verwaltungsbehörden sind oft unterbesetzt. Prozesse dauern manchmal unfassbar lange und sind dementsprechend zermürbend. Allgemein stellt sich die Frage: Wer hat überhaupt Mitspracherecht bei Entscheidungen, die die Lebensrealität von Menschen vor Ort betreffen? Das ist aber ein eigenes großes Thema.

Dazu kommt die konstante Auseinandersetzung mit sexistischen und rassistischen Stereotypen, die im Alltagssprech weit verbreitet sind.

8. Habt ihr Erfahrungen mit rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt oder Diskriminierung gemacht? Wie schätzt ihr die Lage in LOS ein?

Unser Briefkasten wurde mehrere Male gesprengt und unsere Nachbarin vermutet, dass das mit den vielen ausländisch klingenden Namen, die darauf stehen, zusammenhängt. Wir erleben, dass Menschen mit Akzent, Kopftuch oder dunklerer Hautfarbe am laufenden Band abwertende Sprüche kassieren. Sie werden regelmäßig unfreundlicher behandelt oder sogar massiv bedroht. Das ist sehr belastend für die Betroffenen. Für uns als Projekt bedeutet das, dass wir manchen unserer Gäste nicht garantieren können, dass sie ohne Begleitung unbeschwert bis zur Badestelle und zurück laufen können. Die meisten unserer Nachbar*innen macht das betroffen. Gleichzeitig finden in dem Nachbardorf in einem Gasthof regelmäßig rechtspopulistische AfD-Veranstaltungen statt und in Telegram Kanälen, die vorgeben regional aufklärerisch zu wirken werden hetzerische Märchen verbreitet, die nur dazu dienen, Menschen verrückt zu machen.

9. Welchen Ausblick für die Zukunft habt ihr? Was können wir künftig noch von euch erwarten?

Wir sind gekommen um zu bleiben. Dieses Jahr feiern wir unseren 5-jährigen Projektgeburtstag und damit haben wir die Erwartungen aller Skeptiker*innen weit übertroffen. Wir wollen als Projekt weiter wachsen und hoffen, dass sich weitere Projekte und Initiativen in der Region gründen und ansiedeln, die mit uns die Leidenschaft für Regionalentwicklung von Unten teilen. Einen Teil der Utopien die wir mitgebracht haben dürfen wir jetzt schon in unserem Alltag in LOS erleben und wir wollen mehr davon, der Rest ist Verhandlungssache.

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