Im Fokus von Neonazis: Ein Aktivist aus Dahme-Spreewald berichtet von Bedrohungen, Angriffen und Solidarität


Interview mit einem politischen Aktivisten aus dem Landkreis Dahme-Spreewald, der mit uns über seine Erfahrungen als Jugendlicher mit rechter Gewalt und Bedrohungen, Strategien dagegen und über Solidarität redet.

Opferperspektive: Kannst Du kurz zusammenfassen, wie Du überhaupt ins Visier der Rechten geraten bist und was Dir genau passiert ist?

In Brandenburg gibt es ja allgemein nicht so viel linke Strukturen, die öffentlich auftreten. Da ist es dann relativ einfach für Rechte nachzuverfolgen, wer dahinter steckt. So war es bei uns in Königs Wusterhausen auch, weil wir die einzige linke Struktur waren, die öffentlich aufgetreten ist. Deswegen war es für die Rechten sehr einfach, uns auszumachen und so bin ich auch ins Visier der Rechten geraten. Wer auf linke Kundgebungen geht oder dort eine Rede hält ist sofort bei denen bekannt. Konkret war es dann so, dass bei mir in der Umgebung viele rechte Sticker auftauchten und auch rechte Graffiti.

Opferperspektive: Also Du meinst, da wo Du gewohnt hast?

Ja, genau. Das wurde dann immer krasser. Die haben dann meinen Klarnamen herausgefunden und auch wo ich ungefähr wohne. Dann tauchten Graffiti mit meinem Namen in der Umgebung auf und die Rechten haben Drohungen gegen mich mit meinem Namen an die Wände gesprüht. Auch die Leute aus meinem Freundeskreis waren den Rechten bekannt, dann wurde eine Freundin von mir bedrängt und angegriffen von drei Nazis. Diese Freundin sollte mir dann von den Nazis ausrichten, dass sie mich umbringen werden. Es hat dann mit den Bedrohungen immer mehr zugenommen.

Opferperspektive: Und die Freundin von Dir, die wurde auf der Straße angegriffen?

Ja, sie war auf dem Weg nach Hause und die Nazis kannten sie halt, haben sie mit mir in Verbindung gebracht. Sie haben sie dann in eine Ecke gedrängt, sie wurde bedroht und dass sie mir das ausrichten soll. Das mit den Bedrohungen hat dann auch nicht mehr aufgehört. Ich habe immer wieder was gehört, also dass die mich im Fokus haben. An einem Tag war es dann so, dass ich mit der S-Bahn nach Berlin gefahren bin und ca. zehn Nazis bei mir im Waggon eingestiegen sind. Das ist noch recht glimpflich ausgegangen, die haben mich nur eingeschüchtert, haben mich angestarrt und sind mir nach dem Umsteigen auch weiter gefolgt. Am Tag darauf bin ich wieder zwei Nazis begegnet, die sind mir hinterher gerannt. Ich bin dann in die U-Bahn geflohen und wurde dort von denen bedrängt und auch angepöbelt. Die hätten sicherlich noch mehr gemacht, aber die U-Bahn war voll mit Leuten, da hängen ja auch Kameras, was denen sicher bewusst war. Ich hatte dann in der U-Bahn auch Leuten von mir Bescheid gesagt, die dann direkt zum Bahnsteig kamen, um mich zu unterstützen. Dann konnten die Nazis nicht mehr viel machen und sind einfach weiter gefahren. Das war alles im Zeitraum von drei bis vier Monaten im Sommer letztes Jahr.

Opferperspektive: Du bist ja noch zur Schule gegangen in der Zeit, wie war da die Situation für Dich?

Es gab an meiner Schule ein Graffiti, was mich direkt angesprochen hat. Ich habe dann im Sommer Abitur dort geschrieben. Da die Prüfungstermine öffentlich bekannt waren, wussten die Nazis natürlich genau, wo ich wann bin, weil die ja auch wussten, wo ich zur Schule gehe. Daher konnten sie mir bei der Abiturprüfung auflauern, sie waren zu viert. Aber da ich damit schon gerechnet hatte, habe ich mir vorab ein paar Leute zusammengesucht, die mich dahin begleitet haben, dann konnten die Nazis nicht viel machen.

Opferperspektive: Du hast Dich ja entschieden die Sachen nicht polizeilich anzuzeigen, was waren Deine Gründe hierfür? War das für Dich überhaupt ein Thema?

Am Anfang haben wir auf jeden Fall überlegt, ob wir das anzeigen. Wir haben uns aber sehr schnell dagegen entschieden, das zu machen, aufgrund der dadurch entstehenden Aufmerksamkeit, weil die Polizei dann halt auch nachfragt, warum man bedroht wird. Es gab Leute, die gesehen haben, wie sich Nazis mit Polizisten aus Königs Wusterhausen mit Handschlag und Umarmung begrüßt haben. Daher hätten Anzeigen unsere Struktur in Gefahr gebracht und deswegen haben wir uns dagegen entschieden Anzeigen bei der Polizei zu machen.

Opferperspektive: Was hat Dir rückblickend geholfen, im Umgang mit den Angriffen und Bedrohungen klar zu kommen? Welche Reaktionen aus Deinem Umfeld waren weniger hilfreich oder gar kontraproduktiv für den Umgang?

Was mir auf jeden Fall geholfen hat war Solidarität natürlich, von der eigenen Struktur und von außerhalb. Zu der Zeit gab es ein paar Aktionen, wo sich Leute zusammengefunden und gemeinsam die Sticker in meiner Umgebung abgemacht haben. Das allein schon war cool zu sehen. Ich habe mich in der Zeit dann viel nach Berlin verknüpft, das hat mir sehr geholfen. Es war gut dadurch mal aus der Landblase herauszukommen und Kontakte in der Stadt zu haben, auf die man sich verlassen kann. Es gab leider auch Reaktionen aus meinem Umfeld, von Leuten, die versucht haben aktiv wem ’ne Schuld zuzuweisen. Da sind manche so weit gegangen mir die Schuld zu geben, für das was passiert ist, dass ich also selbst an der Situation schuld bin. So im Sinne von, weil ich ja linke Politik mache, habe ich mich aktiv dafür entschieden, daher hätte ich damit rechnen müssen und habe mir das selbst zuzuschreiben. Das war natürlich überhaupt nicht hilfreich.

Opferperspektive: Das ist ja heftig, so zu reagieren. Kannst Du noch Beispiele sagen, wo Dir Solidarität geholfen hat?

Es gab ja das Graffiti mit dem Klarnamen an meiner Schule, das ist dann den Lehrern an der Schule natürlich aufgefallen. Manche Lehrer haben mich dann angesprochen und gefragt was da los ist, weil die die Graffiti gesehen haben. Das habe ich als solidarisch empfunden, weil das hätte denen ja auch total egal sein können. Ich hatte das Gefühl, dass meine Schule da sehr hinterher war, die Graffiti schnell wieder loszuwerden. Da gab‘s ja einige Graffiti an der Schule, um die hat sich nie wer gekümmert, aber das Graffiti mit meinem Namen war innerhalb von zwei Tagen wieder weg. Da wurde sich dann schon drum gekümmert.

Opferperspektive: Wie ist Dein Ausblick, also für Dich persönlich?

Was mir damals sehr geholfen hat, waren Kontakte zu älteren Genossen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, wie ich. Die haben mir ihren Umgang, also ihre Erfahrungen damit weiter gegeben. Einfach zu hören, dass andere diese Erfahrungen auch schon vor mir gemacht hatten und einen Umgang gefunden haben, so von wegen das hat funktioniert und das hat nicht funktioniert. Ich hoffe, dass ich das jetzt auch irgendwie machen kann. Wenn ich das jetzt schon miterleben musste – und ich denke es wird ja leider immer wieder Leute geben, die diese Erfahrung werden machen müssen – dass ich jetzt mindestens denen helfen kann.

Opferperspektive: Wie siehst Du die Lage mit Blick auf die politische Lage vor Ort im Landkreis und in Deinem Ort?

Ich glaube leider, dass es in der Gegend derzeit sehr schlecht aussieht. Vor allem wegen Querdenken haben die Rechten viel Zulauf bekommen und sind stärker und selbstbewusster geworden dadurch. Sie treten viel aktiver auf und ich glaube nicht, dass das in den nächsten Monaten weniger wird. Das ist einfach ein breiteres Spektrum geworden jetzt, da sind Leute dabei aus der gesellschaftlichen Mitte, was ich vorher nicht erwartet habe. Die jugendlichen Nazis sind Leute, die im Kampfsport aktiv sind, die trainieren das und malen Graffiti. Das sind militante Strukturen. Damit einher geht auch ein krasser Verlust an linker Jugendkultur. Als ich noch aktiv war, gab es einige linke Sachen auf der Straße, das ist leider alles weg jetzt. Die meisten Leute wurden vertrieben und das ist auch ein krasser Einbruch von linker Arbeit in Königs Wusterhausen und auch in den umliegenden Dörfern. In Königs Wusterhausen hat sich noch ein bisschen was gehalten aber abseits davon leider gar nichts mehr, das ist alles weggebrochen.

Opferperspektive: Hast Du sonst noch was, was Du gerne noch sagen willst, was Dir wichtig ist?

Ich finde es wichtig zu sagen, dass linke Strukturen in den Städten mehr auf das Land schauen sollten und dort was machen, dass die da mehr supporten. Das hätten wir damals auch viel mehr gebraucht, wenn Linke aus Berlin zu uns gekommen wären und uns mehr geholfen hätten bei Sachen.

Opferperspektive: Vielen Dank für Dein Vertrauen und für das Teilen Deiner Erfahrungen. Dir alles Gute weiterhin!


Das Interview führte Martin Vesely für die Opferperspektive im März 2022.

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