Brandenburg 2023: Bedrohliche Demos, starke AfD und massive Gewalt


Autor: Stefan Lauer (Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Markus Schreiber)

Zuletzt erschienen bei Belltower News (11. Januar 2024).

Der Jahresrückblick 2023 fällt in Brandenburg düster aus. Die AfD scheint immer mehr Unterstützer*innen zu gewinnen. Das zeigt sich auch auf den Straßen.

Joschka Fröschner, der beim Verein Opferperspektive Betroffene rechter Gewalt berät, zieht eine ernüchternde Bilanz für das vergangene Jahr. Denn Worten folgen Taten: In Brandenburg kommt es regelmäßig zu Übergriffen aus rechten Demos heraus, Gegendemonstrant*innen werden angegriffen. Vor allem nicht-weiße Menschen werden wieder immer öfter Opfer massiver Gewalt.

Belltower.News: Was waren in Brandenburg die wichtigsten Ereignisse rechtsaußen 2023?
Das weitere Erstarken der AfD, mit immer höheren Umfragewerten, die Präsenz, die sie auch in kleineren Orten entfaltet, ist aktuell prägend für die Stimmung in Brandenburg. In einigen Landkreisen gab es im vergangenen Jahr Wahlen, bei denen Kandidat*innen der AfD in die Stichwahlen gekommen sind. Es gab Bürgermeister*innenwahlen mit aussichtsreichen AfD-Kandidaten, die es knapp nicht geschafft haben. Die Bedrohungssituation und die Gefahr für Leute, die sich gegen die AfD stellen, kann man vergleichen mit der bei NPD-Demonstrationen in der Vergangenheit oder bei solchen aus dem Kameradschaftsspektrum.

Als Beratungsstelle schaut die Opferperspektive in erster Linie auf konkrete Gewalttaten und unterstützt die Betroffenen. Gab es die im Zusammenhang mit der AfD auch?
Es kam am Rande von mehreren AfD-Kundgebungen zu Übergriffen auf Gegendemonstrant*innen. Zum Beispiel in Mittenwalde im April, dort wurde ein Gegendemonstrant niedergeschlagen, um ihm eine Fahne zu rauben. In Luckenwalde gab es im September eine sehr unangenehme Demonstration, wo Gegendemonstranten eine bedrohliche Stimmung beschrieben haben, die sie so schon lange nicht mehr erlebt hätten. Ein rechter Demonstrationsteilnehmer hat versucht, eine Demonstrantin mit einem Laserpointer zu blenden. Ein weiterer Rechter ist mit seinem Fahrrad in die Gegenkundgebung gefahren und hat eine teilnehmende Person geschlagen. Diese Kundgebungen sind ein Indikator dafür, dass die AfD in Brandenburg ganz eindeutig eine extrem rechte Partei ist, die eine aggressiv kämpferische Anhängerschaft um sich schart. Mit Sorge blicken wir jetzt schon auf die Situation in 2024, wenn Wahlen anstehen, denn das heißt die Kundgebungen werden sich häufen und die Situation wird sich zuspitzen.

Gibt es in der Brandenburger AfD noch Auseinandersetzungen zwischen vermeintlich gemäßigten und radikalen Stimmen?
Es gibt zwar immer wieder interne Konflikte, aber die entzünden sich nicht zwischen einer gemäßigteren und einer extrem rechten Haltung, sondern das sind Grabenkämpfe innerhalb des extremen rechten Milieus, die da ausgefochten werden. Das wird schon am Personal deutlich. Christoph Berndt, der Fraktionsvorsitzende der Partei im Landtag, ist eng mit dem von ihm gegründeten Verein „Zukunft Heimat” verknüpft, der seit 2015 rassistische Demos veranstaltet und von Anfang an den Schulterschluss mit extremen rechten Kräften, auch jenseits der AfD gesucht hat.

Wie macht sich der Einfluss der Partei abseits von Demonstrationen bemerkbar?
Wenn es Berichterstattung zu rechten Vorfällen oder rassistischen Übergriffen gibt, ist die AfD immer wieder ein Sprachrohr für diejenigen, die Täter-Opfer-Umkehr betreiben und das Vorkommen von rassistischer Gewalt in Frage stellen. Beispielhaft wird das an Steffen Kotré sichtbar, der über die Brandenburger Landesliste in den Bundestag gewählt wurde und der immer wieder mit extrem rechten Äußerungen auffällt. Als im Mai eine Schüler*innengruppe aus Berlin in seinem Wahlkreis Dahme -Spreewald von Rechten bedroht und angegriffen wurde, war er einer von denen, die die Geschehnisse in Frage gestellt und gesagt haben, es sei vielleicht auch ganz anders gewesen. Ähnliches haben wir als Beratungsstelle auch in vergleichbaren Fällen erlebt, beispielsweise als in Lieberose, ebenfalls im Landkreis Dahme-Spreewald, eine bosnische Familie drangsaliert, angegriffen und zum Teil verletzt wurde, sodass sie den Ort wieder verlassen haben. Auch da haben wir gemerkt, dass wir uns damit auseinandersetzen müssen, dass Erfahrungsberichte von Betroffenen immer stärker in Frage gestellt werden und dabei spielt die AfD eine wichtige Rolle.

Welche Themen waren 2023 sonst noch wichtig?
Sowohl politisch als auch beraterisch haben wir uns verstärkt mit Vorfällen in Schulen beschäftigt. Da gab es zum Beispiel in Burg im Spreewald einen offenen Brief, den Lehrer*innen verfasst haben, nachdem eine größere Gruppe von Schüler*innen durch extrem rechte Parolen aufgefallen ist, den Hitlergruß gezeigt haben und nicht-rechte Schüler*innen eingeschüchtert und bedroht hat. Gegen dieses Engagement der Lehrer*innen gab es massiven Widerstand. Unter anderem wurden im Ort rechtsextrem Sticker geklebt, die beiden Lehrer*innen sind im Alltag bedroht und angefeindet worden. Jean-Pascal Hohm, Vorsitzender der AfD in Cottbus hat diese Hetze gegen die beiden Lehrer*innen immer weiter befeuert und als die beiden am Ende deswegen die Schule verlassen haben, hat er das als erfolgreiches bürgerschaftliches Engagement bezeichnet.

Wart ihr überrascht von den Geschehnissen in Burg?
Zu Beginn der Berichterstattung über den Vorfall hieß es ja lediglich, dass es sich um eine Schule in Süd-Brandenburg handelt. Zu diesem Zeitpunkt sind viele Leute davon ausgegangen, dass ihre eigene Schule gemeint sein könnte. Das ist ein deutliches Zeichen, dass wir hier mitnichten von Einzelfällen sprechen, wenn es um rechte Umtriebe im Schulumfeld geht. Wir sind beraterisch in Schulen in ganz Brandenburg unterwegs und verzeichnen eine enorm hohe Zahl von Betroffenen. Wir gehen davon aus, dass sich die Zahl der angegriffen Kinder im Vergleich zum Vorjahr auf jeden Fall mehr als verdoppeln wird. Dabei geht es um Angriffe im schulischen Umfeld durch Gleichaltrige, aber auch um Angriffe von Erwachsenen auf Kinder. Das ist ein weiteres Zeichen von Enthemmung rechter und vor allem rassistischer Ideologie.

Gibt es auch noch andere Rechtsaußen-Akteure, außer der AfD, die in Brandenburg aktiv sind?
Der „III. Weg” ist auf jeden Fall nach wie vor in Brandenburg relevant und hat auch versucht, an dieses Schulthema anzudocken und hierzu eigene Flyer produziert. Die Neonazis legen den Fokus aber eher auf interne Organisierung als auf öffentlichkeitswirksame Aktion. Zum Beispiel im Raum Märkisch-Oderland bis ins Berliner Umland merkt man, dass sich da Kameradschaftsstrukturen wie die Kameradschaft MOL, die noch 2022 sehr auffällig war, mit dem „III. Weg” verbinden. Die NPD, jetzt die Heimat, ist in Brandenburg aktuell tatsächlich nicht mehr relevant. Es kommt immer noch zu Gewalttaten aus diesem Milieu, aber der Großteil der rechten Gewalttaten wird nicht von Personen verübt, die eindeutig zu rechten Szenestrukturen gehören, sondern es sind häufig Gelegenheitstaten.

Was ist aus den „Querdenker*innen” geworden?
In Frankfurt an der Oder ist nach wie vor eine Gruppe aus dem verschwörungsideologischen Corona-Leugnungs-Spektrum aktiv und hält weiterhin Demos ab: die “Freigeister”. Personen, die sich an einer Sitzblockade beteiligt haben, um einen dieser Aufmärsche zu blockieren, wurden körperlich angegriffen, und die “Freigeister” treten zum Teil auch an Schulen offensiv auf und versuchen dort ihr Material zu verteilen.

Gibt es einen besonderen ideologischen Fokus aktuell?
Ein zentraler Fokus rechter Ideologiebildung und Vernetzung zwischen unterschiedlichen Szenen ist LGBTQ*-Feindlichkeit und Antifeminismus im weiteren Sinne. Und das hat leider auch einen Einschüchterungseffekt für die queere Community in Brandenburg. Im Vergleich zu den Vorjahren haben queerfeindliche Übergriffe deutlich zugenommen.

Im Juni sind Kommunalwahlen in Brandenburg und im Herbst Landtagswahlen. Wie ist die Stimmung?
In der engagierten Zivilgesellschaft hat das Bedrohungsgefühl zugenommen. Die AfD hat sich dermaßen etabliert, dass Leute vor allem in den kleineren Orten und Städten gar nicht mehr wissen, wo die politischen Gegner*innen sind, weil sie einen umgeben und keine klare Abgrenzung mehr da ist. Verunsicherung ist aktuell weit verbreitet. Aber: An vielen Orten in Brandenburg gibt es Menschen, die sich Gedanken machen und überlegen, was man gerade jetzt in diesem Wahljahr tun kann.

Ich komme nochmal auf Burg zurück, denn da hat es Bewegung gegeben. Die Lehrer*innen haben ein Bündnis gegründet, so ist das „Netzwerk für mehr Demokratie an Schulen“ entstanden und für das Thema wurde Aufmerksamkeit hergestellt. Leute haben sich zusammengefunden, sich dazu geäußert und sich aus der Deckung gewagt und nicht geschwiegen. Das wiederum macht auch die Bedrohungslage deutlich: Denn diese Positionierungen führen zu Reaktionen von den Rechten. Ein Beispiel ist der Brandanschlag auf die Spremberger Kirchengemeinde im Juni 2023. Sie hatte eine Regenbogenfahne am Gebäude befestigt, die mit einem Molotowcocktail in Brand gesetzt werden sollte. Der Anschlag ist zwar gescheitert, aber in dem Gebäude haben Leute geschlafen. Die Gefahr, dass Menschen sterben, war also durchaus gegeben. In dem Ort haben sich auch einige zu den Vorgängen in Burg positioniert und Rechtsextremismus verurteilt. Wie geht man damit um? Sich zu engagieren kann bedeuten, dass man selber angegriffen und angefeindet wird.

Gab es 2023 neue Trends, die ihr beobachtet habt?
Sozialdarwinismus. Da gehen wir von einem großen Dunkelfeld aus, weil Zugänge für wohnungslose Menschen oder Menschen mit Suchterkrankungen schwer zu schaffen sind und die Betroffenengruppen häufig nicht in Hilfe-Systeme eingebunden sind. Aber da haben wir 2023 einige Fälle, die zum Teil mit massiver, Gewalt, Erniedrigung und ähnlichem einhergehen. Mitte des Jahres wurde etwa ein wohnungsloser Mann in Prenzlau durch mehrere Jugendliche angegriffen, die ihn nicht nur länger drangsaliert, sondern die Tat auch noch gefilmt und ins Internet gestellt haben.

Und wir hatten 2023 einige rechte Gewalttaten mit sehr schweren Tatfolgen. Das waren rassistisch motivierte Taten im direkten Wohnumfeld, die nicht zuletzt dazu führen, dass die Betroffenen das Sicherheitsgefühl verlieren. Zum Beispiel der Angriff auf einen jungen schwarzen Mann in Wittstock, der schon seit langer Zeit von einer rechten Gruppe in seiner Nachbarschaft bedroht und drangsaliert wurde. Im Juni 2023 haben die ihn vom Fahrrad gerissen und mit einem Messer auf seinen Kopf eingestochen. Seither traut er sich kaum noch alleine auf die Straße. Oder die polnische Familie, die in einem Wohnblock in der Uckermark von der gesamten Nachbarschaft rassistisch gemobbt wird. Der Vater wurde, in Begleitung seines Sohnes, auf der Straße angegriffen. Die Täter haben ihm gegen den Kopf getreten, als er schon am Boden lag. Von den Folgen dieses Angriffs wird der Mann sich für den Rest seines Lebens nicht mehr erholen.

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