Neonazis ignorieren Vereinsverbot

NEURUPPIN
Die rechtsextreme Szene im nordwestlichen Brandenburg
ignoriert offensichtlich das im Juli 2006 vom Innenministerium verfügte Verbot der neonazistischen Kameradschaft »Schutzbund Deutschland«. In einem Nachfolgegebilde namens »Bewegung Neues Deutschland« sei »derselbe Personenkreis« aktiv wie im verbotenen Schutzbund, teilte Nicola Scuteri vom Mobilen Beratungsteam auf einer Fachtagung der Opferperspektive mit. Flugblätter, mit denen die »Bewegung Neues Deutschland« Rassismus und Antisemitismus verbreite, seien einem ehemaligen Schutzbund-Aktivisten, einem Jurastudenten, zuzuordnen.

Der Verein Opferperspektive, der Leidtragende rechtsextremer Gewalt betreut, hatte Bundes- und Landtagsabgeordnete sowie Experten am vorigen Freitag nach Neuruppin, Rheinsberg und Wittstock eingeladen. Dort verübte rechtsextreme Gewalttaten hatten in den vergangenen Jahren Brandenburg immer wieder bundesweit in Verruf gebracht. Bei der Konferenz beschrieben Experten die mal offensichtliche, mal unterschwellige Durchsetzung des Alltags in vielen Kommunen mit rechtsextremen Ausdrucksformen.

Neben die Diffamierung alles Nichtdeutschen ist auch eine Strategie derFreundlichkeit und Nachbarschaftshilfe getreten. Rechtsextremisten arbeiten laut Scuteri zielgerichtet daran, in ihrem Wohnumfeld »als eher hilfsbereite, fleißige und höfliche Zeitgenossen« zu gelten. So biete ein Neonazi Hausaufgabenhilfe an, ein anderer lade Jugendliche zum Lagerfeuer ein. Auch über den Drahtzieher des »Schutzbund Deutschland«, Mario Schulz aus Cumlosen in der Prignitz, sei in seinem Heimatort »nichts Schlechtes« zu vernehmen. Bereitwillig leihe Schulz Landwirtschaftsgeräte aus. Der Ex-Landeschef der NPD hatte die Parteiverlassen, weil sie ihm nicht nationalistisch genug erschien. Insbesondere auf die rechtsextreme Szene in Wittstock hat Schulz offenkundig seit Jahren starken Einfluss ausgeübt. Der Neonazi sei von 2001 bis 2004 Initiator von 14 rechtsextremen Aufzügen in der Stadt an der Dosse gewesen, berichtete Polizeidirektor Dieter Kahler, Leiter des Schutzbereichs Ostprignitz-Ruppin. Mit 38 Personen ist die rechtsextreme Szene in Wittstock etwa doppelt so stark wie in Rheinsberg mit 20 Personen. Zudem gebe es im Gegensatz zu Rheinsberg in Wittstock einen harten Kern organisierter Neonazis. Sieben der 14 aus dieser Gruppe verbüßen derzeit Haftstrafen. Die Polizei kennt in Wittstock vier rechtsextreme Jugendcliquen.

Trotz geringerer Strukturierung erscheinen der Polizei die Neonazis in Rheinsberg nicht harmloser. Angetrieben von allgemeinem Rassismus verfolgen sie laut Kahler das Ziel, Ausländer aus der für ihre Sommerkonzerte bekannten Kleinstadt zu vertreiben. Allein in diesem Jahr verübten Neonazis mehrere Brandanschläge auf Imbisse ausländischer Betreiber in Rheinsberg.

Sorge bereitet nach Einschätzung des Leiters der Staatsanwaltschaft Neuruppin, Gerd Schnittcher, ein sich andeutendes größeres Selbstbewusstsein rechtsextremer Straftäter. Sie verübten Gewalttaten vielfach nicht mehr spontan und unter Alkoholeinfluss, sondern »stocknüchtern« und geplant. Dabei brüsteten sich die Täter mit ihrer rechtsextremen Haltung als Tatmotiv.

Eine langfristige Problemlösung ist aus Sicht der Experten am ehesten über zivilgesellschaftliches Engagement möglich, wie in Wittstock, wo sich Bürger couragiert Neonazis entgegenstellen.

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