Nichts ist mehr wie zuvor

Opfer von Gewalttaten stehen nach ihrem traumatischen Erlebnis meist zunächst unter Schock. Sie entwickeln ein Gefühl von Betäubung, reagieren mit Unruhezuständen, Überaktivität und vegetativen Zeichen panischer Angst.

Sind die Symptome einer akuten Belastungsreaktion nach drei Tagen nicht abgeklungen, kann es zur Ausbildung einer posttraumatischen Belastungsstörung kommen. Ob sich eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt, wird von verschiedenen Faktoren – traumaabhängige, aber auch persönliche und soziale Faktoren – beeinflusst, die den Heilungsprozess fördern oder behindern können. Dabei kann vor allen Dingen die Bedeutung der sozialen Unterstützung zur Vermeidung einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Die typischen Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung sind das ständige Wiederkehren der traumatischen Erinnerungen in Bildern und Träumen, ein andauerndes Gefühl von Benommenheit, die Vermeidung von Situationen, die eine Konfrontation mit dem Erlebten darstellen, sowie Perioden von Depressivität, die sich mit Angst- und Panikattacken abwechseln.

Wann sprechen wir von einem Trauma? Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet Wunde. Ein Trauma ist eine körperliche und/oder seelische Verletzung durch Gewalteinwirkung, die außerhalb des normalen Erfahrungsspektrums eines Menschen liegt, so dass keine gewohnten Verarbeitungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Eine seelische Wunde meint hier einen heftigen Schock, einen tiefen Einbruch in das gewohnte Lebensgefüge. Nichts ist mehr wie zuvor. Traumatische Erfahrungen gehen einher mit Gefühlen von Bedrohung, Angst, totaler Ohnmacht und Hilflosigkeit. Sie können zu dauerhaften psychischen und somatischen Beschwerden mit schweren sozialen Folgen führen.

Bei Menschen mit traumatischen Vorerfahrungen kann es bei Diskriminierung und einem erneuten Gewalterlebnis zu einer Retraumatisierung kommen; das vorher erlebte Leiden und die dazugehörigen Symptome werden aktiviert. Bei einer Retraumatisierung wird das vorherige Trauma vertieft, dadurch werden früher entstandene Symptome reaktiviert. Sie vermischen sich inhaltlich mit Reaktionen auf das neue Trauma. Gut fundierte Untersuchungen zeigen, dass am stärksten diejenigen betroffen sind, die nicht auf die Unterstützung durch ein soziales Netz zurückgreifen können. Die psychische Beeinträchtigung von Opfern rechtsextremer Gewalt kann durch eine Reihe von Faktoren noch verstärkt werden. Besonders traumatisch werden Angriffe erlebt, bei denen ZuschauerInnen passiv bleiben, den Schauplatz verlassen oder sogar Beifall spenden. Auch eine Nichtanerkennung der langfristigen Leiden traumatisierter Menschen durch die Institutionen der Gesellschaft, Behörden und Gerichte wirken sich nachgewiesenermaßen zusätzlich belastend aus. Sie verstärken bei den Opfern das Gefühl des Verlustes des Vertrauens in die Welt, und dies führt zu langfristigen sozialen Beeinträchtigungen.

Hans Keilson hat in einer international viel beachteten Langzeitstudie über jüdische Waisenkinder nach dem Holocaust (Keilson, Hans: Sequentielle Traumatisierung bei Kindern, Stuttgart 1979) nachgewiesen, dass die einem erlittenen Trauma folgende Lebensphase für die Entstehung und Überwindung von psychischen Symptomen von entscheidender Bedeutung ist. Sein Konzept der sequentiellen Traumatisierung ist hilfreich zum Verständnis der Entwicklung von traumatischen Reaktionen nach Erfahrungen von Gewaltverbrechen.

Eine fehlende Anerkennung der Opfererfahrung durch die Gesellschaft, die eine klare Verurteilung des Verbrechens einschließen muss, sowie mangelnde soziale Unterstützung können zu Traumatisierungen in mehreren Sequenzen führen, anhaltende Gefühle von Unsicherheit und Wertlosigkeit hervorrufen sowie den Wiederaufbau einer stabilen und selbstbewussten Identität erschweren.

Wird einem Opfer über einen längeren Zeitraum nicht die Verarbeitung und Integration der erlebten Gewalt ermöglicht, besteht die Gefahr der Chronifizierung, die bis zur Nichtbewältigung des Alltagslebens führen kann. Es kommt dann zu einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Die Symptome sind sozialer Rückzug und eine entfremdete, feindliche und misstrauische Haltung gegenüber der Welt, Gefühle der Leere und Hoffnungslosigkeit, chronische Nervosität, ein ständiges Gefühl der Bedrohung. Häufig entwickeln sich im Krankheitsverlauf auch weitere psychische und zum Teil schwere körperliche Erkrankungen, wie Tabletten- und Alkoholmissbrauch, Herz- und Magenerkrankungen.

Bei einer zeitnahen Unterstützung des Opfers durch Beratungsstellen und psychologische Hilfsangebote sind die Chancen zur Verarbeitung und Integration des Gewalterlebnisses dagegen gut, da noch keine Chronifizierung und Ausbildung von Begleitsymptomatik vorhanden ist. Je länger auf ein Auffangen und Lindern des Leidens durch soziale und rechtliche Beratung sowie psychologisch-psychotherapeutische Hilfe gewartet werden muss, desto größer ist die Gefahr der Ausbildung psychosomatischer Folgeerkrankungen.

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