Rechte Gewalt und fehlende Strafverfolgung im Gerichtsbezirk Cottbus


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Positionspapier

In den fünf Jahren zwischen 2015 bis einschl. 2019 erfasste die Opferperspektive im Stadtgebiet Cottbus 151 rechte Angriffe bei denen 241 Menschen direkt von rechter Gewalt betroffen waren. Unter den Angriffen waren u.a. 75 gefährliche Körperverletzungen, zwei Brandstiftungen und eine versuchte Tötung. Viele der Angriffe hatten massive und langwierige physische und psychische Folgen für die Betroffenen. Von den 151 gezählten Angriffen wurden 125 polizeilich zur Anzeige gebracht, bei 11 weiteren ist dies unklar.

Um die Dimension des Ausmaßes rechter Gewalt in der Stadt Cottbus besser zu fassen, sollte der angrenzende Landkreis Spree-Neiße mit betrachtet werden, da die Stadt und der Landkreis ein Sozialraum bilden. In den vergangenen fünf Jahren mussten im LK Spree-Neiße 75 rechte Gewaltdelikte durch die Beratungsstelle zur Kenntnis genommen werden. Hiervon wurden 60 Angriffe polizeilich angezeigt, bei weiteren sechs ist dies unklar.

In der Summe gehen wir demnach von 226 Angriffen im Sozialraum Cottbus/ Landkreis Spree-Neiße in den vergangenen fünf Jahren aus, von denen mindestens 185 polizeilich zur Anzeige gebracht wurden. Darüber hinaus ist leider von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.

Gleichzeitig ist die Strafverfolgung im Gerichtsbezirk Cottbus derart langwierig, dass de facto Straffreiheit für rechte Schläger besteht. Dies liegt an der schleppenden und damit fehlenden Aufarbeitung der Taten durch das Amts- und Landgericht Cottbus. Uns ist aus oben genannten 185 polizeilich angezeigten, rechten Gewaltdelikte lediglich ein einziges Verfahren bekannt, was in einem zufriedenstellenden Zeitrahmen an den Gerichten zu Ende gebracht werden konnte. Ein zufriedenstellender Zeitrahmen wären unserer Ansicht ein Abschluss des Verfahrens nach maximal zwei Jahren nach Tatbegehung. Ausnahmen bilden Verfahren bei denen Beschleunigungsgründe vorliegen, z.B. Untersuchungshaft oder das Zusammenziehen von Verfahren bei vorherigen Straftaten. Im oben geschilderten Zeitraum ist dies aber bei keinem uns bekannten Angriff der Fall gewesen.

Im Gegenteil offenbaren die uns bekannten Verfahren im Bereich rechte Gewaltdelikte, die überhaupt an Amts- und Landgericht Cottbus stattfinden konnten, regelmäßig schwere Mängel. Durch lange Zeiträume bis zum Beginn der Hauptverhandlung sind (Opfer-)Zeug:innen nur noch eingeschränkt erinnerungsfähig oder aussagewillig. Bei Verurteilungen sind Strafnachlässe wegen langer Verfahrensdauer für Beschuldigte die Regel, häufig gibt es Einstellungen aufgrund langer Verfahrenslaufzeiten oder weil Verfahren aufgrund langer Verfahrensdauern nicht mehr ordnungsgemäß zu Ende zu führen sind. Der Glauben an die Herstellung von Gerechtigkeit durch die Justiz ist bei Betroffenen daher kaum oder nicht mehr vorhanden. Rechte Täter werden demgegenüber gestärkt.

In einem Fall musste die Richterin nach über siebenjähriger Verfahrensdauer am Landgericht Cottbus bei der Urteilsverkündung eingestehen, dass Unsicherheit darüber herrschte, ob die vorliegende Akte noch vollständig war, oder ob durch Verschulden des Gerichts Teile der Akte fehlten. Daraus resultierend konnte der Beschuldigte in diesem Verfahren nur eingeschränkt verurteilt werden, weil dem Gericht hinsichtlich mancher Vorwürfe die Grundlage an Akten fehlte.

Die hier geschilderte Problematik wurde durch die Beratungsstelle regelmäßig im Rahmen der Jahresberichte publiziert. Zudem wurden die jeweiligen Landesregierungen und die demokratischen Landtagsfraktionen bei Fraktionsbesuchen über das Ausmaß der Problematik informiert. Dies geschah insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei Teilen der Gewaltdelikte organisierte Neonazis zum Kreis der Tatverdächtigen gehören, bei denen eine zeitnahe Strafverfolgung aus Gründen der Generalprävention äußerst dringlich wäre. Wiederholungstaten sind bei ideologisch gefestigten Neonazis leider erwartbar. Gleiches gilt für rechte Schläger, die ihre Ideologie gewaltvoll auf der Straße in die Tat umsetzen. Eine Verbesserung der Lage für Betroffene rechter Gewalt im Gerichtsbezirk Cottbus ist seither ebensowenig eingetreten, wie eine (zeitnahe) Sanktionierung rechter Angreifer durch staatliche Instanzen.

Im Folgenden finden sich auszugsweise jeweils zwei Beispiele für Verfahren mit überlange Verfahrensdauern und zwei Beispiele für rechte Angriffe, bei denen die Betroffenen bis heute auf den Beginn der Hauptverhandlung warten, obwohl Tatverdächtige ermittelt wurden, bei denen für eine Anklage hinreichender Tatverdacht besteht.

Zunächst beispielhaft zwei Tatkomplexe aus dem Bereich rechte Gewalt, bei denen bis heute keine Strafverfolgung stattgefunden hat, obwohl Tatverdächtige ermittelt wurden und hinreichender Tatverdacht besteht:

1. Angriff an Silvester in Cottbus Jahreswechsel 2017/ 2018

Tatzeit: 01.01.2018
Ort: Cottbus
Tatgeschehen: Nachdem drei Geflüchtete aus Afghanistan in der Cottbuser Innenstadt den Beginn des neuen Jahres gefeiert haben, werden sie auf dem Rückweg nach Hause rassistisch beleidigt und körperlich angegriffen. Zwei der Angegriffenen flüchten in ihre nahegelegene Unterkunft, die Angreifer folgen ihnen und setzen den Angriff im Vorraum der Unterkunft fort. Videoaufzeichnungen des Tatgeschehens liegen vor. Einer der Geflüchteten erleidet schwere Verletzungen im Gesicht (Kieferbuch) und muss stationär im Krankenhaus behandelt werden.
Reaktion der Justiz: Keine. Obwohl Tatverdächtige nach Öffentlichkeitsfahndung durch die Polizei zeitnah ermittelt wurden, warten die Betroffenen – drei Jahre nach der Tat – bis heute auf eine Eröffnung der Hauptverhandlung am Amtsgericht Cottbus. Ein Beginn der Hauptverhandlung ist bis dato nicht terminiert. Vielmehr sieht sich das Amtsgericht angesichts von sieben Angeklagten und drei Nebenklägern außer Stande das Verfahren selbst zu verhandeln und hat das Landgericht nunmehr um Übernahme gebeten. Die Tatverdächtigen in dem Verfahren sind Teil der rechten Jugendszene in Cottbus-Sachsendorf.

2. Angriff durch militanten Neonazi auf Geflüchtete in Spremberg

Tatzeit: 25.12.2016
Tatort: Spremberg
Tatgeschehen: Zwei afghanische Geflüchtete besuchen eine Diskothek im City Center Spremberg. Sie verlassen die Lokalität ohne dort Probleme gehabt zu haben. Als sie sich kurz nach Mitternacht auf dem Weg nach Hause befinden, hält plötzlich ein Auto an ihrer Seite. Zwei Türsteher aus der Diskothek steigen aus und kommen sofort auf sie zu. Die Türsteher beleidigen die beiden Geflüchteten und schlagen einen von ihnen zu Boden. Dieser muss stationär im Krankenhaus behandelt werden. Als der zweite Betroffene seinem Freund zu Hilfe kommen will, wird er ebenfalls geschlagen. Der Angriff ist rassistisch motiviert. Die Tat hat massive psychische und physische Folgen für die Betroffenen.
Reaktion der Justiz: Der Beginn der Hauptverhandlung am AG Cottbus war am 03.07.2019 gut zweieinhalb Jahre nach der Tat vorgesehen. Aufgrund fehlerhaft verschickter Akten durch das Amtsgericht können die Verteidiger des Beschuldigten den Beginn der Hauptverhandlung verhindern. Erneute Terminierungen des Gerichts scheitern mehrfach, da sich der Beschuldigte immer wieder krank schreiben lässt. Einmal ist der Richter erkrankt. Eine Überprüfung der Krankschreibungen des Beschuldigten durch das Gericht findet nicht statt. Resultat: Bis heute kein Ergebnis der Strafverfolgung. Derzeit gibt es keine neue Terminierung mehr, Ausgang offen. Der Beschuldigte ist Teil der militanten Neonaziszene der Region und Beschuldigter im laufenden §129-Verfahren gegen rechten Strukturen vor Ort.

 

Abschließend noch zwei Beispiele für Verfahren mit überlanger Verfahrensdauer, die nach Jahren der Wartezeit durch Verschulden der Gerichte zum Vorteil rechter Schläger beendet wurden.

1. Angriff auf Enkel und Großmutter in Senftenberg

Tatzeit: 15.10.2011
Ort: Senftenberg
Tatgeschehen: Ein junger Erwachsener und seine Großmutter wurden auf dem Weg zum Einkaufen von zwei Rechten beschimpft und angegriffen. Der junge Mann wurde durch Schläge verletzt. Die Angreifer verfolgten die Betroffenen. Die Täter zeigten mehrmals den sog. “Hitlergruß” und riefen „Heil Hitler!“. In Folge des Angriffs musste die 70-jährige Frau für mehrere Tage stationär behandelt werden. Ihr Begleiter erlitt eine Platzwunde am Kopf.
Juristische Aufarbeitung: Das Landgericht Cottbus schließt das Verfahren über siebeneinhalb Jahre nach Tatbegehung am 04.06.2019 ab. Einer der Täter wird zwar verurteilt, jedoch muss das Gericht aufgrund überlanger Verfahrensdauer bedeutende Strafnachlässe gewähren. Zudem ist die Richterin unsicher, ob ihr bei Urteilsverkündung überhaupt die vollständige Verfahrensakte vorliegt, da die Gerichte bei der Zusammenführung verschiedener Akten unsauber gearbeitet haben. Eine für die Betroffenen angemessene Verfahrensführung war siebeneinhalb Jahre nach Tatbegehung am Landgericht nicht mehr möglich. Der zweite Angreifer musste sich nicht für die Tat vor Gericht verantworten. Unklar bleibt, was aus diesem abgetrennten Verfahren geworden ist. Die zur Tatzeit 70-jährige Frau war bei Urteilsverkündung 78 Jahre alt und war nach der Urteilsverkündung schwer erschüttert, dass rechte Angriffe jahrelang juristisch nicht aufgearbeitet werden.

2. Rechte Schläger skandieren Naziparolen und schlagen auf einen 24-Jährigen ein

Tatzeit: 19.04.2015
Tatort: Cottbus
Tatgeschehen: Zwei Rechte skandieren nachts verfassungsfeindliche Parolen in der Cottbuser Innenstadt und zeigen den sog. „Hitlergruß“. Ein 24-jähriger Passant bittet die beiden Rechten dies zu unterlassen und wird daraufhin von den Rechten zusammengeschlagen. Nur das Eingreifen einer Begleiterin des Angegriffenen kann Schlimmeres verhindern.
Juristische Aufarbeitung: Jahrelang dümpelt das Verfahren am Amtsgericht dahin. Mehrfach platzen Prozesstermine, u.a. weil sich die Beschuldigten krank schreiben lassen. Zudem kann ein Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen die Vorsitzende Richterin nicht zeitnah bearbeitet werden, was massive Verzögerungen verursacht. Schließlich endet das Verfahren am AG Cottbus mit einer Verurteilung der Angreifer zu Haftstrafen. Da Berufung gegen das Urteil eingelegt wird, kommt es im September 2020, über fünf Jahre nach Tatbegehung, zur Verhandlung am LG Cottbus. Aufgrund der überlangen Verfahrensdauer wird das Verfahren schließlich nach §153a StPO gegen geringe Auflagen eingestellt. Die rechten Schläger verlassen gestärkt den Gerichtssaal.

Ansprechperson:
Martin Vesely
Tel.: 0171 1935 6695
m.vesely@opferperspektive.de

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