“Wir müssen über Rassismus reden”


Dies ist die vollständige Version eines Artikels, der unter dem Titel “Migrationsvordergrund” zuerst im Prötzeler Kurier erschien und den wir (mit bestem Dank an die Autorin) hier, als auch gekürzt in unserem Rundbrief “Schattenberichte – Nachrichten aus der Opferperspektive” im Dezember 2018, veröffentlichen.

Migrationsvordergrund

Möglicherweise hat der Vorfall, über den ich mich hier persönlich äußern möchte, in Prädikow bereits die Runde gemacht. In der MOZ vom 11.07.2018 erschien ein Artikel, der das Ereignis sehr genau schilderte. Vor wenigen Wochen wurde ich mit meiner 2-jährigen Tochter beim Einkauf in Strausberg zuerst verbal, und schließlich körperlich von einer älteren Dame angegriffen. Auslöser hierfür war die Tatsache, dass ich mit meiner Tochter persisch gesprochen hatte. Nachdem ich meine Freiheitsrechte ebenfalls verbal verteidigte und die feindlichen Beschimpfungen dennoch nicht endeten, machte ich die Frau darauf aufmerksam, dass sie vor einem Kleinkind doch wenigstens den Anstand wahren sollte, ihr „Nazigelaber“ bei sich zu behalten. Daraufhin wurde ich vor den Augen meiner Tochter mehrmals geschlagen. Eine befreundete Mutter aus der Kita meiner Tochter und ihr Mann waren die einzigen, die mir in dem gut besuchten Supermarkt zu Hilfe kamen.

Der Übergriff auf mich und meine Tochter hallt noch immer in mir nach. Nicht nur schlaflose Nächte, auch wiederholte Fragen meiner Tochter zu dem Vorfall haben mich dazu bewogen das Ereignis hier in einem Kontext zu beleuchten, der uns alle, sowohl in der kleinen Gemeinde, als auch weit darüber hinaus, etwas angeht. Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Das klingt leicht daher gesagt, ist aber leider angesichts der tagtäglichen rassistischen Übergriffe in Deutschland noch immer kein selbstverständlicher Fakt. Zumindest ist vielen Menschen nicht klar, dass nicht der mehrheitlich von Rassismus unberührte Teil der Gesellschaft Rassismus definiert, sondern die von Rassismus Betroffenen selbst.

Es ist nach wie vor erschreckend, dass Zwei – oder Mehrsprachigkeit, ein nicht-deutscher Name, ein nicht-deutsches Äußeres (was auch immer das sein mag), oder andere Ambiguitäten oftmals nicht ausgehalten werden oder zumindest für so viel Unbehagen sorgen können, dass sie nicht nur den Alltag der Betroffenen verändern, sondern auch aggressive Übergriffe zur Folge haben können. Ich lebe also nach über 33 Jahren in Deutschland nicht etwa mit einem Migrationshintergrund, sondern mit einem Migrationsvordergrund. Wie anders lässt es sich beispielsweise erklären, dass der Polizeibeamte, der meine Strafanzeige gegen die besagte Person aufnahm, zwar meinen Personalausweis in der Hand hielt und meine Daten davon abschrieb, es sich aber dennoch nicht verkneifen konnte zu fragen: „Und Sie haben aber die deutsche Staatsangehörigkeit, ja?“ Kann ich nicht erwarten, dass ein Beamter einen Ausweis der Bundesrepublik Deutschland von einem ausländischen Reisepass unterscheiden kann? Und hätte er eine Monika Mustermann ebenfalls nach ihrer Staatsangehörigkeit gefragt? Warum ist jemand derart erbost darüber in einem Supermarkt eine andere Sprache als die deutsche zu vernehmen? Ich hätte auch eine Touristin aus einem anderen Land sein und mich gar nicht verbal verteidigen können. Oder eine vor Krieg geflüchtete Mutter, die bei ihrem Einkauf möglicherweise gar nicht Wort für Wort verstanden hätte, wie sie beschimpft wird. Was ist also los in diesem Land?

Ich frage dies deshalb so, weil ich Rassismus nicht lokal oder regional verortet sehe. In Großstädten wie Berlin passieren solche Vorfälle ebenso wie in der Märkischen Schweiz oder im Osnabrücker Land. Dort bin ich aufgewachsen und kann mich gut daran erinnern, wie ich selbst, aber öfter noch meine Eltern sich kaum trauten, sich zu verteidigen oder vor rassistischen Angriffen zu schützen. Für ein Kind ist das schwer auszuhalten und es prägt die Sicht auf die Welt nachhaltig. Das möchte ich für meine Tochter verhindern. Deshalb müssen wir über diese Themen sprechen. Und deshalb möchte ich auch erwähnen, dass es Menschen in Prädikow gibt, die mich bis heute (ich lebe seit knapp 2 Jahren hier) kein einziges Mal weder nach meiner Herkunft, nach meiner Muttersprache oder den Ursprung meines Namens gefragt haben. Stattdessen sprechen wir über den Anbau von Rhabarber, oder über Hundeerziehung, ohne dass Herkunftsfragen von Belang wären. Das ist ein Miteinander, wie es selbstverständlich sein sollte, ohne dass man es als herausstechend positiv benennen müsste. Aber vielmehr müssen wir über die Missstände sprechen, die uns allen früher oder später auf die Füße fallen werden. Wir müssen uns klar sein, dass Menschen im Deutschen Bundestag sitzen, die eine ganze Volksgruppe als „Kümmelvolk“ und eine Religionsgemeinschaft als „Kameltreiber“ bezeichnen. Wir müssen solche und andere Aussagen als „Nazigelaber“ bezeichnen dürfen, ohne uns schuldig zu fühlen. Wir müssen vielleicht noch weitere 33 Jahre über Rassismus und Diskriminierung sprechen, wenn jemand wie ich nach 33 Jahren in Deutschland noch immer als „Frau aus dem Iran“ bezeichnet wird (Polizeibericht vom 09.07.2018).

Und wir müssen erst recht über Rassismus sprechen, wenn – statistisch gesehen – die Anwesenheit von Kindern mit Migrationsvordergrund bei derartigen Übergriffen das Aggressionspotenzial vieler Menschen erhöht, statt es zu beschwichtigen. Denn die Tatsache, dass auch Menschen mit Migrationsvordergrund Kinder bekommen, scheint in manchen Teilen der Bevölkerung ein massives Problem darzustellen. Das sollte uns allen zu denken geben. Denn auch das ist leider eine von vielen Realitäten in unserer Gesellschaft.

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