Berichterstattung zum Prozess zum Silvesterangriff in Cottbus-Sachsendorf 2018


Gerichtssaal am Landgericht Cottbus (© Opferperspektive)

Berichterstattung der Opferperspektive zum Verfahren nach dem Angriff auf drei Geflüchtete am 01. Januar 2018 in Cottbus-Sachsendorf (23 KLs 2/21, Landgericht Cottbus)

Am 14. August 2023 begann am Landgericht Cottbus der Prozess gegen sieben Cottbuser. Sie sollen in der Silvesternacht 2018 drei Asylbewerber zunächst verfolgt, rassistisch beleidigt und schließlich auf sie eingeschlagen haben. Zwei der Angegriffenen wurden bis zu ihrer Asylunterkunft verfolgt und im Vorraum weiter geschlagen. Die Staatsanwaltschaft hatte am 21. November 2019 Anklage am Amtsgericht Cottbus erhoben. Am 8. Oktober 2021 wurde die Anklage zugelassen. Aus Überforderung mit der hohen Anzahl der Angeklagten übergab das Amtsgericht den Prozess an das Landesgericht. Nach fünfeinhalb Jahren soll der Prozess in dreizehn Prozesstagen verhandelt werden.

Wir aktualisieren die Berichterstattung fortlaufend bis zum Prozessende. Die Chronikmeldung zum Angriff gibt es zur Nachlese hier.


1. Prozesstag, 14. August 2023

Das Verfahren begann mit einer Verspätung von ca. 45 Minuten, da einer der Angeklagten zu spät vor Gericht erschienen ist. Als Grund für seine Verspätung gab der 27-järhige an, seinen Ausweis vergessen zu haben. Nach einer kurzen Belehrung setzte sich der Prozess fort. Die Anklageschrift wurde verlesen. Zum Zeitpunkt wollte sich keiner der Angeklagten zum Sachverhalt äußern. Als Beweismittel wurde das 50-minütige Überwachungsvideo aus dem Vorraum der Asylunterkunft gezeigt.


2. Prozesstag, 28. August 2023

Einer der Angeklagten macht eine Einlassung und gibt an, am Neujahrsmorgen stark alkoholisiert gewesen zu sein. Er erinnert sich daran, dass er damals in Sachsendorf Teil der Gruppe war, die drei Geflüchtete angriff. Er hat auch selbst zugeschlagen. Eigenen Berichten zufolge könne er über die weiteren Umstände des Tathergangs aufgrund des stark alkoholisierten Zustands nur wenig Angaben machen.

Anschließend sagt einer der Betroffenen aus. Er berichtet, mit zwei Freunden an der Stadthalle in Cottbus den Jahreswechsel gefeiert zu haben und danach mit der Tram zur Haltestelle Gelsenkirchener Straße gefahren zu sein. Dort, in der Nähe des Sachsendorfer Zelts, beleidigte eine Gruppe die drei Freunde rassistisch, u. a. wurde aus der Gruppe heraus mehrfach “Ausländer raus!”, “Scheiß Ausländer” und “Was wollt ihr hier?” gebrüllt. Zudem hörte der Betroffene, wie eine Glasflasche zerbrach. Er wurde dann selbst von hinten angegriffen: Ihm wurde mehrfach auf den Kopf geschlagen, er ging zu Boden und blieb dort bewusstlos liegen. Später wurde im Krankenhaus bei dem Betroffenen ein Knochenbruch im Gesicht diagnostiziert. Zudem wurde ihm durch den Angriff ein Zahn ausgeschlagen. Er leidet heute – mehr als fünfeinhalb Jahre nach der Tat – weiterhin unter körperlichen Beschwerden, die aus der Tat resultieren.


3. Prozesstag, 29. August 2023

Am 3. Prozesstag sagt der zweite Betroffene des Angriffs aus. Dieser gibt an, dass er am Neujahrsmorgen 2018 in Sachsendorf in der Nähe des Zelts durch eine Gruppe von sieben bis acht Personen rassistisch beleidigt wurde. Er war auf dem Rückweg in seine Unterkunft, nachdem er den Jahreswechsel im Stadtzentrum gefeiert hat. Aus der Gruppe heraus wurde er als “Scheiß Ausländer” beleidigt und anschließend durch einen der Angreifer mit einer Glasflasche ins Gesicht geschlagen, die Bierflasche zerbrach dabei. Danach flüchtete er in den Eingangsbereich seiner Unterkunft und wurde dort von vier Angreifern weiter geschlagen. Zudem sagt der Betroffene aus, dass er sich durch den Security-Angestellten der Unterkunft nur unzureichend unterstützt sah. Dieser habe eine Tür aufgeschlossen, die die Angreifer später nutzten. Außerdem habe er zu spät die Polizei verständigt. Der Betroffene erlitt bei dem Angriff schwere Verletzungen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten. Bis heute hat er Probleme bei der Atmung durch die Nase – eine Folge des damaligen Angriffs.

Die Vernehmung durch den Richter und die Schöffen nimmt den Betroffene so derartig mit, dass die Verhandlung unterbrochen werden muss. Nach der Pause teilt der Betroffene mit, dass er Schmerzen hat und wird aus dem Zeugenstand vorerst entlassen. Er soll zum späteren Zeitpunkt nochmal vernommen werden. Damit endet der 3. Prozesstag.


4. Prozesstag, 04. September 2023

Am heutigen vierten Prozesstag sagte der dritte Betroffene des Angriffs aus. Dieser bestätigte den Ablauf des Angriffs auf die drei Geflüchteten am Neujahrsmorgen 2018 in Cottbus-Sachsendorf. Der Angriff begann am Gelsenkirchener Platz und setzte sich dann im Untergeschoss der Unterkunft eines der Betroffenen in der Zielona-Gora-Straße fort. Auf dem Weg dorthin wurde einem Geflüchteten durch die Angreifer eine Flasche ins Gesicht geschlagen. Der dritte Betroffene wurde bei dem Angriff verletzt und hatte Schmerzen, trug aber – im Gegensatz zu den andern beiden – keine bleibenden körperlichen Verletzungen davon.


6. Prozesstag, 11. September 2023

Am sechsten Prozesstag setzte der zweite Betroffene des Angriffs seine Aussage fort. Sie wurde im August aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen. Dem Geschädigten wurden während der Befragung Videoaufnahmen der Überwachungskamera im Eingangsbereich der Unterkunft gezeigt. Wie auch schon bei seiner Aussage bei der Polizei vor 5 Jahren gab er an, unter den 7 Angeklagten drei als sicher an der Tat beteiligt identifizieren zu können. Weitere Zeug:innen, darunter einer der damaligen Wachschützer der Unterkunft, erschienen trotz Ladung nicht und sollen bei einem der nächsten Termine polizeilich vorgeführt werden.


7. Prozesstag, 12. September 2023

Am 12. September wurden mehrere Zeugen vernommen, die Teil eines Chats waren, in dem rassistische Äußerungen gemacht wurden. Einer der Zeugen betonte, dass die Angeklagten sich ihm gegenüber noch nie rassistisch geäußert hätten, obwohl er einen pakistanischen Vater hat. Ebenfalls wurden weitere Straftaten der Angeklagten in anderen Fällen verlesen. Darunter war auch eine Verurteilung wegen Körperverletzung eines der Angeklagten im Jahr 2023.


8. Prozesstag 15. September 2023

An diesem Prozesstag wurden die Zeug:innenvernehmungen fortgesetzt. Ein Polizeibeamter schilderte den Einsatz aus seiner Perspektive und erläuterte den Ablauf nach dem Eintreffen am Einsatzort. Außerdem wurde erwähnt, dass die Polizei mindestens 30 Minuten zur Unterkunft benötigte.

Die Verteidigung behauptete, dass der Auslöser für die Angriffe eine zuvor stattgefundene Belästigung zweier Frauen durch die später Angegriffenen gewesen sei. Eine Zeugin berichtete, sie sei angesprochen worden, jedoch nicht begrabscht oder anderweitig körperlich angegangen worden.

Ebenfalls wurde der Wachmann vernommen, der zur Tatzeit in der Unterkunft Dienst hatte. Dieser berichtete, dass es in der Auseinandersetzung um die beiden Frauen gegangen sein soll, weil die Angeklagten an diesem Abend lautstark darauf hingewiesen hätten. Er bestätigte, dass die Polizei sehr lange zur Unterkunft benötigte. Der Wachmann bezeugte die Beteiligung von fünf Deutschen, die bei dem Angriff dabei waren, und beschrieb die körperlichen Übergriffe auf die Betroffenen.


9. Prozesstag 18. September 2023

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10. Prozesstag 19. September 2023

Am 10. Prozesstag wurden die verschiedenen Staatsschützer zu ihrer Ermittlungsarbeit vernommen. Sie äußerten sich zu den durchgeführten Vernehmungen der Angeklagten und der Betroffenen und gaben eine Darstellung des Verfahrens ab. Dabei spielte die Videoaufzeichnung, die das Tatgeschehen in der Unterkunft festgehalten hatte, und die Auswertung des Materials eine wichtige Rolle. Es wurde jedoch festgestellt, dass das Video aufgrund mangelnder Abspielgeräte lange Zeit gar nicht angesehen und schließlich nur ein- oder zweimal von den Ermittlern ausgewertet wurde.


11. Prozesstag 22. September 2023

Der 11. Prozesstag wird mit der Vernehmung eines der damaligen Staatsschützer fortgesetzt. Dieser beschreibt erneut das Tatgeschehen aus der Ermittlungsperspektive und berichtet von den Vernehmungen der Betroffenen. Auf Nachfrage gibt der Staatsschützer an, dass sie keinen rassistischen Hintergrund ermitteln konnten, obwohl sie Zugriff auf den Chat der Angeklagten hatten, in dem rassistische Aussagen getätigt worden waren.


12. Prozesstag 25. September 2023

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13. Prozesstag, 26. September 2023

Am 13. Prozesstermin am Landgericht Cottbus wurden die Plädoyers der Staatsanwältin, der beiden Nebenkläger:innen Undine Weyers und Stefan Martin sowie der sieben Verteidiger:innen vorgetragen. Die Staatsanwältin sieht ein rassistisches Tatmotiv bei den Angeklagten vorhanden und sieht den Tatbestand einer gemeinschaftlichen Körperverletzung als gegeben an. Sie fordert für einen der Haupttäter eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten auf Bewährung. Ebenfalls unterstrichen die beiden Nebenkläger:innen ein rassistisches Tatmotiv in ihren Plädoyers und forderten ein Schuldspruch.


14. Prozesstag 29. September 2023

Am letzten Prozesstag am Landgericht in Cottbus wurde das Urteil des Richters verlesen. Von den sieben Angeklagten wurden fünf verurteilt. Der Hauptangeklagte erhielt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, die auf zwei Jahre Bewährung ausgesetzt wurde. Die restlichen vier Angeklagten erhielten eine Verwarnung, da sie zur Tatzeit noch Jugendliche waren. Die letzten beiden Angeklagten wurden freigesprochen, da ihnen nicht nachgewiesen werden konnte, am Übergriff beteiligt gewesen zu sein. Der Richter erkannte bei der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung eine rassistische Tatmotivation an und begründete dies mit den Ausrufen, die an dem Tatabend getätigt wurden. Ebenfalls wurde der Chat herangezogen, in dem sich die Angeklagten rassistisch geäußert hatten. Der Richter bemängelte die Polizeiermittlung, insbesondere in Bezug auf die Auswertung der Videoaufnahmen in der Unterkunft.


Zur Pressemitteilung über die Urteilsverkündung: https://www.opferperspektive.de/aktuelles/cottbuser_silvesterangriff_prozessende

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