Alarmierende Entwicklung in Südostbrandenburg

Auf dem Spremberger Heimatfest am zweiten Augustwochenende dieses Jahres kam es zu einer Reihe schwerer rechtsmotivierter Straftaten. So wurde unter anderem ein Punk mit einem Baseballschläger attackiert und verletzt. Direkt auf dem Festgelände schlugen vermummte Neonazis mit Quarzhandschuhen und Teleskopschlagstöcken zwei Jugendliche. Beobachtungen zufolge zogen zudem rund 50 Neonazis vom Heimatfest zum nahegelegenen alternativen Jugendklub »Piraten«. Beim Versuch, das Haus zu stürmen, wurde die Haustür beschädigt. Schon einige Tage vor dem Festgeschehen war ein Punk von zwei Rechten zusammengeschlagen worden.

Gezielte Angriffe auf alternative Strukturen

Seit August ist es in Spremberg zu weiteren rechten Angriffen gekommen. Am 11. September 2010 schlugen Rechte einen Alternativen so heftig zusammen, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste. Am 12. November 2010 randalierten Rechte erneut vor dem Jugendklub »Piraten«. Zehn Tage später, am 22. November 2010, traktierten in Großräschen vier Neonazis mit Schlägen ein Vorstandsmitglied des Trägervereins des Jugendklubs. In Spremberg droht die Gewaltstrategie der Neonazis aufzugehen: Weil er die übrigen BewohnerInnen seines Hauses durch die Attacken der Rechten gefährdet sieht, hat der Vermieter den Mietvertrag mit den »Piraten« gekündigt. Der Klub ist dadurch in seiner Existenz bedroht.

In Forst stehen das unabhängige Kultur- und Begegnungszentrum »Park 7« und seine BesucherInnen im Fokus der lokalen rechten Szene. Im Juli randalierten 15 bis 20 Vermummte vor dem Klubhaus und warfen Fensterscheiben ein. Alles deutet darauf hin, dass die Angreifenden dem rechten Spektrum angehörten. Mitte Oktober fand morgens ein junger Linker aus Forst, der in Leipzig gegen einen Neonaziaufmarsch protestieren wollte, sein Auto mit eingeschlagener Frontscheibe vor – beklebt mit rechtem Propagandamaterial.

In Cottbus warfen Mitte November drei vermummte Personen im Hausprojekt »Zelle 79« die Scheiben ein. Durch die Steinwürfe entsand erheblicher Sachschaden. Einen Tag später wurde der sowjetische Ehrenfriedhof in Cottbus geschändet. Seit den Sommermonaten bis in den Herbst hinein kam es in Cottbus immer wieder zu teilweise massiven Beleidigungen und Einschüchterungen alternativer Jugendlicher und Menschen mit Migrationshintergrund. Insbesondere im Puschkinpark wurden mehrfach Jugendliche angegriffen. Es ist davon auszugehen, dass nicht alle Körperverletzungen von den zum Teil sehr jungen Opfern angezeigt wurden.

Eine Eskalation rechter Gewalt ist zu befürchten

In Südostbrandenburg existieren aktive Neonazistrukturen. Vor allem die sogenannte Volkstod-Kampagne der Kameradschaftsstruktur »Spreelichter« entfaltet seit Anfang 2009 ausgehend insbesondere von Lübben und Lübbenau eine bedrohliche Wirkung. Mittels pathetisch inszenierte Aktionen und über das Internet verbreiteter Texte und Videos wird versucht, die Demokratie zu diskreditieren und verächtlich zu machen. Spruchbänder, die an Häusern und Autobahnbrücken ausgerollte werden, Sprühereien und verkleidete Auftritte bei Festen und Veranstaltungen sind zu einem Markenzeichen der »Spreelichter« in ganz Südostbrandenburg geworden. Inzwischen entstehen auch in anderen Städten, z. B. in Spremberg, Internetseiten nach dem Vorbild des Neonazizusammenhangs. Aktiv ist auch die NPD. Das ganze Jahr über war sie an fast jedem Wochenende mit Infoständen in Südbrandenburger Gemeinden präsent. Seit August wird der rechte Lifestyle zudem von einem neuen Ladengeschäft in der Cottbuser Bahnhofstraße bedient. Im »Oseberg« sind Kleidungsstücke der Marke »Thor Steinar« zu bekommen. Die Bekleidungsmarke bedient sich völkischer Symbolik mit NS-Bezug und ist unter Neonazis sehr beliebt.

Die Angriffe auf alternative Treffpunkte in Südostbrandenburg müssen in einem überregionalen Zusammenhang betrachtet werden. Auffällig ist, dass sich direkte Angriffe von Neonazis in Ostdeutschland häufen. Zu nennen sind etwa die Brandanschläge auf Wohnprojekte in Dresden, ein Angriff auf ein alternatives Zentrum in Salzwedel (Sachsen-Anhalt), mehrere Angriffe auf das Jugendwohnprojekt »Mittendrin« in Neuruppin (Landkreis Ostprignitz-Ruppin) sowie der Brandanschlag auf einen linken Buchladen in Berlin-Kreuzberg. Belege für ein Erstarken der rechten Szene – nicht nur in Südostbrandenburg. Die Opferperspektive befürchtet angesichts der zahlreichen Vorfälle in jüngster Zeit, dass eine weitere Eskalation rechter Gewalt in dieser Region nicht auszuschließen ist.

siehe auch Cottbus: Anhaltende Gewalt gegen alternative Jugendliche

Chronologie von Angriffen in Südostbrandenburg, die auf Recherchen der Opferperspektive beruht.

Nr.DatumOrtGeschehen
115.2.10CottbusEin junger Mann wurde am späten Abend aus einer größeren Gruppe heraus angegriffen. Die Täter schlugen mit Flaschen auf ihn ein und traten ihn, bis er zu Boden ging. Dort liegend wurde er weiter geschlagen, getreten und mit Flaschen beworfen.
216.2.10CottbusZwei deutsche Staatsbürger wurde Opfer einer gefährlichen Körperverletzung, die sich »gegen links« richtete. Es wurden zwei Tatverdächtige ermittelt. Nähere Angaben liegen nicht vor.
316.2.10CottbisBeim Verlassen seiner Wohnung traf ein junger Mann auf eine Gruppe Neonazis, die ihn mit den Worten »Jetzt kriegen wir Dich!« begrüßten. Der Jugendliche rannte weg. Die ihn verfolgenden Neonazis konnten ihn jedoch nicht einholen.
420.2.10CottbusEine 17-Jährige wurde im Stadtzentrum von zwei jungen Männern im Alter von 18 und 20 Jahren geschlagen und getreten. Dabei wurde die linksorientierte junge Frau am Knie verletzt. Die Täter sind der Polizei als rechtsorientiert bekannt.
523.3.10CottbusIn der Puschkinpromenade wurde ein Schüler kurz nach 9 Uhr von einer Gruppe Rechter als Zecke beschimpft. Die Angreifer, die szenetypische Kleidung trugen, schlugen mehrfach auf den 19-Jährigen ein. Ein Auffinden der Täter gelang der herbeigerufenen Polizei nicht.
626.3.10DöbernNach Drohungen im Internet schlugen zwei Rechte einen 19-Jährigen mit der Faust ins Gesicht und versetzten ihm einen Kopfstoß. Später skandierte unter anderem der Haupttäter vor der Wohnung des Verletzten Parolen. Am Folgetag randalierte der Rechte mit einem Begleiter vor der Wohnungstür des Jugendlichen und beleidigten dessen Mutter.
78.4.10CottbusAm Puschkinpark wurde ein 20-jähriger Alternativer von zwei Rechten geschlagen. Am Boden liegend traf ihn unter anderem ein Tritt mit einem Springerstiefel im Gesicht.
88.4.10CottbusEin 17-Jähriger wurde aus einer Gruppe von etwa zehn Rechten als »Scheiß Zecke« beleidigt, vom Fahrrad gezogen und mit einem Teleskopschlagstock zusammengeschlagen. Das Opfer erlitt unter anderem einen Trommelfellanriss und musste ambulant im Krankenhaus behandelt werden.
94.5.10DrebkauEin Staatsbürger vietnamesischer Herkunft wurde aus rassistischen Motiven Opfer einer gefährlichen Körperverletzung. Es wurde ein Tatverdächtiger ermittelt. Nähere Angaben liegen nicht vor.
103.6.10DrebkauEin Deutscher vietnamesischer Herkunft wurde aus rassistischen Motiven Opfer einer gefährlichen Körperverletzung. Es wurde ein Tatverdächtiger ermittelt. Nähere Angaben liegen nicht vor.
114.6.10CottbusVier im Puschkinpark Punkmusik hörende Jugendliche wurden von etwa 15 Rechten angesprochen und provoziert. Kurz danach eskalierte die Situation. Zwei der alternativen Jugendlichen wurden mehrfach geschlagen.
127.7.10CottbusVor dem Cottbuser Bahnhof wurde ein Student aus Simbabwe rassistisch beleidigt und bedroht.
1315.7.10ForstIn den frühen Morgenstunden betraten 15 bis 20 vermummte Personen das Gelände des alternativen Jugendtreffs »Park7« und warfen mit Pflastersteinen die Fensterscheiben des Hauptgebäudes ein.
1419.7.10CottbusBeim Filmen von sogenannten Stolpersteinen zur Erinnerung an von Nationalsozialisten deportierte Cottbuser wurde ein rbb-Kameramann angerempelt. Anschließend spuckte der unbekannte Angreifer in Richtung des Gedenksteins.
1531.7.10SprembergIn der Nacht zum Sonntag wurde ein Punk, der auf dem Fahrrad unterwegs war, von zwei Rechten angehalten. Sie verstellten ihm den Weg, stießen ihn zu Boden und schlugen auf ihn ein.
167.8.10SprembergWährend des Heimatfestes griff eine Gruppe rechter Jugendlicher wiederholt das Haus an, in dem sich der alternative Jugendtreff der »Piraten e.V.« befindet. Sie bedrohten den Vermieter und beschädigten die Eingangstür.
178.8.10SprembergEin Jugendlicher wurde gegen 21.30 Uhr von drei dunkel gekleideten unbekannten Personen mit einem Teleskopschlagstock geschlagen.
188.8.10SprembergEin als gewalttätig bekannter Neonazi näherte sich mit dem Ruf »Hey, die Zecken« zwei jungen Besuchern des Heimatfestes. Als sie aufgrund der bedrohlichen Situation flohen, wurden sie verfolgt.
198.8.10SprembergAuf dem Heimatfest bedrohte eine Gruppe rechter Jugendlicher linksalternative Festbesucher. Die Angreifer verfolgten die Jugendlichen und prügelte auf zwei von ihnen ein. Einer der Betroffenen wurde durch Schläge mit Quarzsandhandschuhen leicht verletzt, ein anderer erlitt durch einen Schlag mit einem Totschläger ein Schädelhirntrauma.
208.8.10SprembergAm Rande des Heimatfestes schlug eine Gruppe Rechter einen Punk mit einem Baseballschläger. Der Betroffene musste sich im Krankenhaus behandeln lassen.
219.9.10CottbusZwei schwarz gekleidete Männer folgten nachts einem Mann aus Burkina Faso und bedrohten ihn unter anderem mit den Worten »Hier regiert der Nationalsozialismus« ein. Sie zeigten den sogenannten Hitlergruß. Als der Betroffene die Polizei verständigte, hielten die Angreifer ihn von hinten fest und nötigten ihn, das Gespräch zu beenden.
2211.9.10SprembergEin Alternativer wurde von Rechten so heftig geschlagen, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.
2314.9.10CottbusIn Sachsendorf wurde eine 29-jährige Kamerunerin rassistisch beleidigt. Der 22-jähriger Täter wurde von der Polizei gefasst.
2415.10.10ForstAm Auto eines gegen Rechts engagierten Mannes wurde die Frontscheibe eingeworfen und das Fahrzeug mit rechten Aufklebern beklebt.
2511.11.10CottbusDrei Personen, mutmaßlich Rechte, warfen im Alternativtreffpunkt »Zelle 79« zwei Fensterscheiben ein und flüchteten.
2612.11.10CottbusAm sowjetischen Ehrenfriedhof wurden 26 Grabsteine umgestoßen und auf einer Stele mit Farbe das Wort »Juden« aufgetragen.
2712.11.10SprembergSachbeschädigungen an den Räumen des alternativen Jugendklubs »Piraten«. Es wurden Marmorplatten zerschlagen, Eimer umhergeworfen und eine Markise durch Böller beschädigt. Laut Zeugen fielen Worte, die deutlich auf eine rechte Motivation der Tat hinweisen.
2822.11.10GroßräschenEin Vorstandsmitglied des Spremberger Klubs »Piraten« wurde von vier Neonazis zusammengeschlagen.

(mabe)

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