Mit den Tätern Tür an Tür

In der Debatte um rassistische Gewalt, vor allem gegen Geflüchtete, liegt der Fokus auf Angriffen auf Gemeinschaftsunterkünfte. Dabei gerät in Vergessenheit, dass sich rassistische Gewalt im Alltag manifestiert und sich auch dann fortsetzt, wenn Geflüchtete in eigenen Wohnungen leben. Das gilt auch für Ermittlungsbehörden – so wird aus einem rassistisch motivierten Übergriff schnell ein „Nachbarschaftsstreit“. Dabei stellt die Nähe zu den Täter_innen, die oftmals im selben Hausaufgang leben, sowie die lang andauernde Bedrohung eine besondere Belastung für die Betroffenen dar.

„Warum sagen denn die Leute nichts?“

Frau M. traut sich nicht mehr in ihre Wohnung im Potsdamer Stadtteil Schlaatz. Seit Monaten wird sie bedroht und rassistisch beleidigt. Angefangen hatte es mit dem aufgebrochenen Briefkasten. Ständig wurde ihre Post geklaut, sie fand auch Exkremente im Briefkasten. Weil sie keine Briefe mehr bekam, folgten Schwierigkeiten mit Ämtern und Behörden. Waren Freund_innen zu Besuch, hetzten ihr die Nachbar_innen die Polizei wegen angeblicher Lärmbelästigung auf den Hals. Schließlich wurde sie nachts an ihrer Wohnungstür von Unbekannten angegriffen, getreten und geschlagen. Erkennen konnte sie Täter_innen nicht, hörte aber anschließend die Haustür nicht ins Schloss fallen. Für sie ist klar – die Angreifer_innen wohnen im selben Haus. Trotz Notruf kam die Polizei nicht. Die Grenze des Erträglichen war erreicht, als ein Nachbar sie mit einem Messer bedrohte. Frau M. wohnt inzwischen bei Freund_innen.

Sucht die Opferperspektive in Fällen wie diesem Kontakt zu Vermieter_innen und Wohnungsbaugesellschaften, sind diese oft überrascht. „Warum sagen denn die Leute nichts?“, heißt es dann. Dabei fehlt es an direkten Ansprechpartner_innen bei rassistischer Bedrohung und auch an der notwendigen Sensibilität, um sich in die Betroffenen hinein zu versetzen. Im Kontext ihrer Erfahrungen ist für die Betroffenen klar: Rassismus ist das Motiv. Vor dem Hintergrund alltäglicher rassistischer Anfeindungen schaffen etwa permanente „Klingelstreiche“ ein Klima der Ausgrenzung und Angst. Wenn die Betroffenen wüssten, an wen sie sich wenden können, und ihre Handlungsmöglichkeiten gemeinsam mit Unterstützer_innen ausschöpfen, zeigt sich, dass Vermieter_innen durchaus gewillt sind, etwas zu unternehmen. Eine Erfahrung, die Betroffene in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Handlungsfähigkeit stärkt.

Angriffe als Alltag

Frau O.’s Namensschild ist an ihrem Hauseingang das Einzige, das vollständig zerkratzt ist. Über Monate wurden Frau O. und ihre Kinder angepöbelt, ihnen gesagt, sie seien „zu schwarz für hier“. Der Kinderwagen wurde im Hausflur zerstört, ein Nachbar bedrohte die Kinder mit dem Hund. Sie trauten sich nicht mehr auf den Spielplatz. Weil sie nun drinnen spielten, häuften sich Beschwerden über Lärmbelästigung. Zu Neujahr schlugen und traten Unbekannte so heftig gegen die Wohnungstür von Frau O., dass sie fürchtete, sie dringen in die Wohnung ein. Wenig später wurde das Türschloss mit Sekundenkleber verklebt. Während sie im Urlaub ist, wurde die Wohnungstür vollständig mit Baukleber versperrt. Die Wohnungsbaugesellschaft zeigte Verständnis für die unerträgliche Situation – sie organisierte eine neue Wohnung in einem anderen Stadtteil. Frau O. zieht um, muss sich nun aber als alleinerziehende Mutter um den Umzug und neue Kindergartenplätze kümmern. Viel Stress, der zu den permanenten rassistischen Übergriffen hinzu kommt.

Häufig nutzen rassistische Nachbar_innen Institutionen wie Vermieter und Polizei, um den Betroffenen das Leben so schwer wie möglich zu machen. Gerade im Fall von Geflüchteten ist der Zugang zu und die Teilhabe an gesellschaftlichen Unterstützungsangeboten erschwert. Oftmals fehlt ein persönliches Umfeld oder eine Community, die Betroffene rassistischer Gewalt stützen kann. Die Polizei reagiert bei Notrufen häufig zögerlich, falls sie überhaupt in der Lage ist, sich mit den Angegriffenen sprachlich zu verständigen. Es ist gerade diese institutionelle Ausgrenzung, die angreifbar macht.

Nachbarschaftliche Solidarität statt Ohnmacht

Auch wenn das selbstbestimmte Leben und die Privatsphäre einer eigenen Wohnung für Geflüchtete einer Gemeinschaftsunterbringung vorzuziehen ist, darf dies nicht bedeuten, dass staatliche Verantwortung und Unterstützung mit dem Auszug aus der Unterkunft endet. Es braucht in einem viel größeren Ausmaß als bisher betreuende und beratende Angebote für Geflüchtete in Wohnungen. Aber nicht nur staatliche Institutionen müssen ein Bewusstsein für das Phänomen Alltagsrassismus in seiner gewaltvollen Permanenz entwickeln. Genauso sind Nachbar_innen gefragt, die sich mit den Betroffenen solidarisieren und sie nicht alleine lassen mit rassistischer Aggression. Gemeinsam ist es möglich, Rassist_innen etwas entgegen zu setzen. Dafür ist es wichtig aktiv nachzufragen, ob es Probleme mit rassistischen Nachbar_innen gibt, und die Betroffenen zu unterstützen. Sonst bleibt für diese nur der (absolut verständliche) Wegzug – eine Reaktion, die Rassist_innen und Neonazis nur bestärken kann.

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